Beinahe hätte es geklappt mit dem Kusnezow NK-12. Anfang 2022 sah sich Robert Kluge, Kurator für Moderne Luftfahrt beim Deutschen Museum, endlich am Ziel seiner Mühen, ein Exemplar des sowjetischen Extrem-Turboprops als Ausstellungsstück nach München zu holen. Transportgerecht in einen Metallrahmen geschraubt stand das Triebwerk, mitsamt separat in einer Kiste verstauten Propellern, bereit zur Abholung in einem Hangar auf dem Antonow-Werksflugplatz Kiew-Hostomel. "Es war alles klar, wir hatten gemeinsam mit Antonow einen Motor identifiziert, den Kaufpreis ausgehandelt und den Transport durchgeplant", erinnert sich Kluge. Via Leipzig, wo Antonow schon damals eine Basis betrieb, sollte das NK-12 nach Deutschland kommen – und ab Juni 2022 als Highlight einer neuen Dauerausstellung auf der Münchner Museumsinsel präsentiert werden.
Mit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 waren all die schönen Pläne aber mit einem Mal Makulatur. Schon am ersten Kriegstag nahmen die Russen den Antonow-Flughafen Hostomel ins Visier und besetzten diesen zeitweise. Heftige Kämpfe entbrannten, in deren Zuge unter anderem am 27. Februar die einzigartige An-225 Mrija zerstört wurde.

Dieses Exemplar des Kusnezow NK-12 stand Anfang 2022 bereit zum Abtransport in Hostomel, als die russische Armee den Antonow-Werksflugplatz attackierte.
Die Hoffnung lebt noch immer
An eine Umsetzung des Vorhabens, das für das Deutsche Museum zurechtgelegte NK-12 nach Deutschland auszufliegen, war jedenfalls nicht mehr zu denken. Bis heute ist der Luftraum der Ukraine offiziell geschlossen. Und so warten die Transportkisten auch heute, fast vier Jahre später, noch darauf, dass irgendwer sich ihrer annimmt. "Soweit wir wissen, liegt das Triebwerk noch immer in Hostomel", sagt Robert Kluge – und will zugleich die Hoffnung nicht aufgeben, dass seine Jagd nach dem Kusnezow NK-12 eines (nicht allzu fernen) Tages doch noch ein erfolgreiches Ende findet.

Das NK-12 soll(te) das Highlight einer neuen Dauerausstellung auf der Münchner Museumsinsel werden. Bislang blieb der dafür reservierte Platz - im Bild links oben - jedoch leer.
Supertriebwerk mit deutschen Genen
Denn das Kusnezow NK-12, mehr als 15.000 PS stark, ist gleich in mehrerlei Hinsicht ein sehr besonderer Flugzeugmotor. Nie zuvor, und auch nicht danach, wurde weltweit ein potenteres Turboprop-Triebwerk in Serie gebaut. Entwickelt und gefertigt im sowjetischen Kuibyschew (heute Samara), zeichnete ein Team ehemaliger Junkers-Ingenieure aus Dessau für das NK-12 verantwortlich, die 1946 im Rahmen der Geheimoperation Ossawakim zusammen mit rund 2500 anderen deutschen Fachkräften in die Sowjetunion verschleppt worden waren. Federführend bei der Entwicklung war der Österreicher Ferdinand Brandner.
Charakteristisch für das NK-12 ist die Auslegung mit doppeltem Planetengetriebe, über das pro Motor zwei übereinander montierte, gegenläufig rotierende Propeller angetrieben werden. Brandner und seine Mitarbeiter hatten in der UdSSR in Gestalt ähnlich ausgelegter, weit schwächerer Antriebe bereits erste Erfahrung gesammelt. Das in seiner Leistungsstärke unerreichte NK-12 schneiderten sie Anfang der 1950er-Jahre dem neuen Langstreckenbomber Tupolew Tu-95 auf den Leib – und bestückten jedes der vier Triebwerke der Tu-95 mit jeweils zwei AV-60-Vierblattpropellern des Herstellers Aerosila aus Stupino, die einen Durchmesser von 5,6 Metern aufwiesen. Das aus dem Bomber entwickelte Passagierflugzeug Tu-114 flog ab 1957 ebenfalls mit vier NK-12-Motoren.
Antrieb für die An-22 Antei
Ein knappes Jahrzehnt später kam das NK-12 auch beim damals größten Flugzeug der Welt, der Antonow An-22 Antei, zum Zug – in einer leicht abgewandelten, für den neuen Zweck optimierten Version, mit größeren AV-90-Propellern, deren Durchmesser 6,2 Meter betrug. Die An-22 startete am 27. Februar 1965 zum Erstflug, bis 1976 wurden insgesamt 68 Exemplare gebaut – allesamt zunächst für die Transportfliegerkräfte der sowjetischen Luftwaffe.

Bei der russischen Luftwaffe wird das NK-12 vor allem als Antrieb des Langstreckenbombers Tu-95MS eingesetzt (Foto).
Glücksfall für das Deutsche Museum
Die An-22 war es letztlich auch, dank der Robert Kluge und das Deutsche Museum ihre lange Suche nach einem NK-12 für ihre Ausstellung um ein Haar zum Erfolg hätten führen können. Auf seiner Jagd hatte Kluge, der aus Leipzig stammt und fließend Russisch spricht, seine Fühler sowohl nach Russland als auch in die Ukraine ausgestreckt – war bei den Russen allerdings rasch abgeblitzt, weil das Triebwerk dort wegen seiner Verwendung an der Tu-95 (und der An-22, von der Russlands Luftwaffe bis 2025 noch letzte Exemplare flog) nach wie vor als militärische Verschlusssache gilt. Entsprechend wollte niemand in Russland ein NK-12 nach Deutschland abgeben, auch nicht für Museumszwecke.
In der Ukraine sah das anders aus. Dort pflegte das Deutsche Museum eine Reihe vielversprechender Kontakte. Diese hatten bereits 1990 ihren Anfang genommen, als eine AI-20-Propellerturbine als Geschenk des Triebwerksherstellers Motor Sitsch aus Saporischschja nach München gelangte. "Motor Sitsch konnte uns bei unserer Suche nach einem NK-12 leider nicht helfen", erinnert sich Kurator Kluge. "Aber dafür kamen wir direkt mit Antonow in Kontakt." Insgesamt dreimal – 2012, 2016 und 2019 – reiste Kluge in die Antonow-Zentrale nach Kiew, sprach dort bei den verantwortlichen Stellen und mehreren, da ständig wechselnden Antonow-Generaldirektoren vor und besuchte auch den Flugplatz Hostomel. Letztlich fand sich im Inventar des traditionsreichen Flugzeugbauers tatsächlich ein abgeflogenes NK-12, das für den Betrieb der einzigen – später bei Kämpfen um Hostomel ebenfalls schwer beschädigten – An-22 der Antonow-Werksfluglinie Antonov Airlines nicht (mehr) benötigt wurde.

Antonov Airlines betrieb bis 2021 die An-22 "Antei" UR-09307 (Foto). Aus dem Antonov Airlines-Fundus stammt auch der fürs Deutsche Museum vorgesehene Motor.
Warten auf bessere Zeiten
Wäre alles wie geplant verlaufen, könnten Besucher des Deutschen Museums dieses ausrangierte Wunderwerk der Technik mit deutsch-österreichischen Genen jetzt auf der Münchner Museumsinsel aus nächster Nähe bestaunen. Doch weil seit Februar 2022 vieles völlig anders kam als erhofft, bleibt der Platz für das NK-12 in der Ausstellung weiterhin leer.
Stattdessen holte Kluge im Sommer 2025 die Antonow-Sonderausstellung "Light and Shadow" in die Außenstelle des Deutschen Museums am Flugplatz Schleißheim. In dieser bewegenden Fotoshow wird der Weg von Antonow und Antonov Airlines seit der Unabhängigkeit der Ukraine nachgezeichnet – mit den bewusst in Schwarz-Weiß gehaltenen Aufnahmen der kriegsbedingten Zerstörung seit 2022 als Kontrast. Verbunden aber zugleich mit der Hoffnung, dass irgendwann auch wieder bessere Zeiten kommen. Für die Ukraine, für Antonow – und für die Bemühungen des Deutschen Museums, irgendwann doch noch das erhoffte NK-12 in Empfang nehmen zu können.





