Sommer 1974, 14. August, Flugplatz Manching: Nils Meister, Cheftestpilot bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, kurz MBB, und Paul Millett, Cheftestpilot bei British Aircraft Corporation, kurz BAC, bekommen die Startfreigabe. Sie sind die ersten, die den neuen Jagdbomber fliegen, den Deutschland, Italien und Großbritannien in den sechs Jahren zuvor gemeinsam entwickelten. Bei den Planungen zu diesem vielseitig einsetzbaren Jet waren ursprünglich auch die Belgier und Kanadier mit im Boot, die aber wieder ausstiegen; die Briten kamen erst später an Bord.

2016 flogen deutsche Tornados im Rahmen der Mission „Counter Daesh“ von der Air Base Incirlik in der Türkei aus.
Größtes militärisches Luftfahrt-Kooperationsprogramm
Der neue europäische Schwenkflügler, getauft auf den Namen Tornado, verhielt sich in der Luft von Anfang an hervorragend, es waren nur kleine Änderungen an den Lufteinläufen nötig. Mit der umfangreichen Erprobung von neun Prototypen und sechs Vorserienexemplaren nahm das größte militärische Luftfahrt-Kooperationsprogramm in der europäischen Geschichte seinen Lauf. Fast 1000 Flugzeuge wurden unter Führung des in München ansässigen Gemeinschaftsunternehmens Panavia zwischen 1979 und 1998 auf den Endmontagelinien bei MBB in Manching, heute Airbus Defence and Space, Bei BAC in Warton, heute BAE Systems, und Fiat Aviazione in Turin-Caselle, das heute zu Leonardo gehört, gebaut und an die Luftstreitkräfte der drei Partnerländer sowie an Saudi-Arabien als einzigem Exportkunden ausgeliefert. Die Anteile hatte man nach zähem Ringen zu je 42,5 Prozent an die deutschen und britischen Firmen und zu 15 Prozent an Italien verteilt. Konkret wurden von MBB der Mittelrumpf, von BAC Vorder- und Hinterrumpf mit Leitwerken und von Fiat Aviazione die Tragflächen gebaut. Die drei Firmen waren auch für Systeme wie Avionik, Kraftstoff und Flugsteuerung (MBB), Hydraulik, Notausstieg und Cockpitdisplays (BAC) oder Kraftstofferprobung und Selbstschutz (Fiat Aviazione) zuständig. Das RB199-Triebwerk war ebenfalls eine Gemeinschaftsproduktion von Rolls-Royce, MTU Aero Engines und Fiat Aviazione.

Deutsche Tornados beim Training in den USA. Stationiert waren sie auf der Holloman Air Force Base in New Mexico.
Erster Kampfeinsatz 1990
Obwohl der Tornado ursprünglich in erster Linie für Hochgeschwindigkeitsangriffe im Tiefflug auf feindliche Bodenziele gedacht war, wurde er für diverse andere Aufgaben weiterentwickelt. So kauften Deutschland und Italien die ECR-Version, die speziell für die Bekämpfung gegnerischer Radarstationen ausgerüstet und bewaffnet ist. In Deutschland war der Tornado auch bei den Marinefliegern mit Lenkwaffen vom Typ Kormoran zur Schiffsbekämpfung im Einsatz. Großbritannien seinerseits erhielt die gestreckte Air Defence Variant, kurz ADV, für die Überwachung und Verteidigung großer Lufträume auch über der Nordsee. Dafür gab es ein neues Radar namens Foxhunter und Sky-Flash-Lenkwaffen. Die ADV wurde auch an die Royal Saudi Air Force geliefert. Hier machte British Aerospace im Rahmen des Al-Yamamah-Programms die Geschäfte. Seinen ersten Kampfeinsatz erlebte der Tornado 1990 im Irak, als sowohl die Royal Air Force, Italien als auch Saudi-Arabien am Krieg gegen Saddam Hussein beteiligt waren. Deutsche Tornados waren erstmals 1995 von Italien aus in Bosnien im Rahmen der Deliberate Force aktiv, später dann auch in der Allied Force. Nach Afghanistan wiederum schickten Großbritannien, Italien und Deutschland von 2007 bis September 2010 ihre Flugzeuge. Saudische Tornados wurden auch im Krieg im Jemen eingesetzt, während die Luftwaffe zuletzt bei den Operationen "Counter Daesh" und "Inherent Resolve" von der Türkei und Jordanien aus über Syrien und dem Irak flog. Wie nahezu alle über viele Jahre im Dienst stehenden Waffensysteme ist auch der Tornado im Laufe der Zeit modernisiert worden, wobei es überwiegend um Updates der Elektronik ging. Dazu gehörten die Integration neuer Waffen, die Umstellung auf störungssicherere Funkgeräte und der Einbau eines digitalen Videodaten-Aufzeichnungssystems. Darüber hinaus wurden 2016 neue, farbige Multifunktionsbildschirme für die Navigation nachgerüstet.

Volle Power: Die beiden Triebwerke leisten mit Nachbrenner je 73 Kilonewton Schub. Das reicht für Mach 2.27
Fliegen mit echter "Moving Map"
Von solchem Equipment konnten die Crews der früheren Jahrgänge nur träumen. "In beiden Cockpits gab es zur Navigationsunterstützung eine Moving Map, wobei dieser Begriff hier absolut wörtlich zu nehmen ist", erzählt ein ehemaliger Tornado-Pilot, den seine damaligen Kameraden unter dem Callsign "Oli" kannten. In 13 Jahren flog er rund 1300 Stunden auf dem Tornado. "In dem Gerät bewegte sich der Mikrofilm einer Luftfahrtkarte so, dass der Mittelpunkt des Anzeigegerätes genau den eigenen Standort markierte." Im Gegensatz zu anderen Mustern, bei denen die geplante Flugroute nur mit Strichen auf einem Display dargestellt wurde, sei es mit dem Tornado möglich gewesen, anhand der Karte den eigenen Kurs perfekt an die taktische Situation anzupassen, weil man jederzeit ganz genau wusste, wo man war, erklärt Oli.

Geistig weit vor dem Flugzeug sein – das ist die wichtigste Aufgabe des Tornado-Piloten, egal ob im Einsatz oder bei Übungen.
480 Knoten in 100 Fuß Höhe
Das Erlebnis, den Tornado mit hoher Geschwindigkeit im Tiefflug zu manövrieren, beschreibt er noch heute als "geil". "Es gibt einfach kein anderes Wort, das dafür passt. Mit 480 Knoten in 100 Fuß Höhe – da bewegt sich die Landschaft unter dir rasend schnell. Danach kann man wirklich süchtig werden." Allerdings, merkt er an, verlangte das Flugzeug die volle Aufmerksamkeit des Piloten. "Grundsätzlich ist das Vorausdenken, um geistig weit genug vor das Flugzeug zu kommen, eine essenzielle Fähigkeit von Militärpiloten. Man muss jederzeit genau wissen, wo man selbst ist, wo die Kameraden und wo der potenzielle Gegner, was man selbst vorhat und was die anderen tun werden. Ohne diese Situational Awareness geht es nicht. Hat man einmal den Überblick verloren, ist es nahezu unmöglich, das bei 480 Knoten Speed wieder aufzuholen." Das fliegerische Handwerk indes, erklärt Oli, müsse weitgehend automatisiert sein. "Die Handgriffe für die Steuerung und das Powersetting, für den Schwenkmechanismus der Flügel usw. – da denkt man nicht mehr bewusst drüber nach. Das passiert weitgehend intuitiv." Eine Herausforderung sei dabei, dass das Schwenken der Tornado-Flügel nicht wie beispielsweise bei der F-14 Tomcat vom Bordcomputer in Abhängigkeit der aktuellen Flugparameter automatisch geschieht. "Der Tornado-Pilot muss selbst jederzeit nachregeln und sicherstellen, dass die Pfeilung zur aktuellen Geschwindigkeit und zu den geflogenen Manövern passt." Dennoch sei der Tornado keineswegs ein schwieriges Flugzeug, sagt der Pilot. "Ich traue mich ja fast nicht, das zuzugeben, aber wirklich kompliziert ist das Fliegen an sich nicht. Generell hat ein Jetpilot nicht mit Problemen wie Slipstream des Propellers oder Motordrehmoment zu kämpfen. Und dank Fly-by-Wire-Steuerung liegt ein Tornado echt wie ein Brett in der Luft und fliegt stur geradeaus, wenn man keine Steuereingabe macht. Die Eigenstabilität ist wirklich ausgezeichnet, und damit sich der Flieger mal von sich aus bewegt, muss man schon durch eine brutale Windscherung oder ein wahnsinniges Lee geflogen sein."

Der Waffensystemoffizier ist vor allem für die taktischen Anteile des Fluges zuständig.
Effiziente Arbeitsteilung im Cockpit
Um den Einsatzauftrag unter den anspruchsvollen Bedingungen des Tieffluges zu erfüllen, wurde der Tornado als Zweimannflugzeug mit erheblicher Arbeitsteilung ausgelegt. In der Angriffs- und Aufklärungsversion ist nur im vorderen Cockpit ein Steuerknüppel eingebaut, lediglich einige Schulflugzeuge verfügen über ein Doppelsteuer. Während der Pilot für die sichere Durchführung des Fluges verantwortlich ist, kümmert sich der hinter ihm sitzende Waffensystemoffizier, kurz WSO, um die taktischen Elemente des Fluges. "Wir haben als Crew auf Augenhöhe agiert, denn mein WSO konnte die Leistungsfähigkeit des Radars voll ausspielen und hatte die Kapazitäten, die taktische Lage umfassend zu analysieren", erklärt Oli die Funktion des zweiten Mannes an Bord. Dabei mussten WSO und Pilot gut aufeinander eingespielt sein, um sich optimal zu ergänzen. In der ECR-Variante des Tornado, die für elektronische Kampfführung eingesetzt wird, ist der Waffensystemoffizier gar der entscheidende Mann, denn er bedient aus dem hinteren Cockpit die entsprechenden Systeme. "Da ist man als Pilot vor allem Chauffeur, der den WSO zum Einsatzort und wieder zurück zu bringen hat", sagt Oli und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Während man im Staffelalltag immer wieder in wechselnden Konstellationen flog, um zum einen dem Dienstplan gerecht zu werden und zum anderen zu vermeiden, dass sich gefährliche Routinen innerhalb eines Pilot-WSO-Paares einschliffen, versuchten die Crews bei größeren Übungen, möglichst immer mit demselben Partner zu fliegen. "So konnte man sich einfach viel besser aufeinander einspielen und noch bessere Ergebnisse erzielen. Denn das muss auch klar gesagt werden: Der Tornado war in Übung und Einsatz anspruchsvoll. Aber wenn man als Team gut war, konnte man mit dem Flugzeug eine unglaubliche Präzision an den Tag legen. Und das hat riesigen Spaß gemacht!"

Die Luftwaffe wird den Tornado noch bis 2030 fliegen.
Das Ende ist in Sicht
Während die Royal Air Force ihre Tornado-Flotte bereits März 2019 außer Dienst gestellt und die Flugzeuge durch Eurofighter ersetzt hat, werden die Schwenkflügler in den anderen Ländern noch geflogen. Italien will den Tornado perspektivisch durch die F-35 ablösen, während Saudi-Arabien ebenfalls auf den Eurofighter umstellt. Deutschland indes beschafft die F-35A Lightning II als Kernwaffenträger, denn bislang ist der Tornado die fliegende Komponente im Rahmen der Nuklearen Teilhabe. Zudem rüstet die Bundeswehr Eurofighter für die ECR-Rolle um. Ende 2030 sollen die letzten Tornados aus dem Dienst der Luftwaffe ausscheiden. Bis dahin werden sie noch viele Male von den Fliegerhorsten Schleswig (Schleswig-Holstein) und Büchel (Rheinland-Pfalz) aus in den Himmel donnern.