Die hohe Kunst der Luftbetankung
Einparken bei über 200 Knoten

Die Luftbetankung gehört zu den anspruchsvollsten Manövern der Militärluftfahrt. Bei der Arctic Challenge Exercise gehört sie zum Übungsprogramm der U.S. Air Force und ihren NATO-Partnern.

Einparken bei über 200 Knoten
Foto: Timo Breidenstein

Senior Airman Daniel E. Crump ist für seinen Job viel zu leicht gekleidet, finde ich. Über seiner Einsatzkombi trägt er gerade einmal eine dünne Lederjacke, und den Joystick, mit er den Tankausleger dirigiert, führt der Boom Operator ohne Handschuhe. Dabei herrschen hier im Heck der KC-135 Temperaturen, die man umgangssprachlich getrost als "zapfig" bezeichnen könnte. Hätte ich die Warnungen ernster genommen, die in dem Einladungsschreiben standen, würde ich nun sicher in einer Daunenjacke auf dem Beobachterplatz neben Crump sitzen, anstatt in der Kälte zu schlottern.

Unsere Highlights

15 Meter Abstand zwischen den Jets

Der Boom Operator ist dafür verantwortlich, dass tausende Liter Kraftstoff ihren Weg in den Kampfjet am Ende des Tankrüssels finden – und sein Job ist Präzisionsarbeit. Um betankt zu werden, muss sich die F-16, die da an unserem Heck klebt, auf weniger als 15 Meter unserem Stratotanker nähern. Zwei Meter hin oder her entscheiden über den Erfolg des Manövers. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit von einem der beiden Akteure, und der Tankausleger könnte brechen. Oder noch schlimmer, die Maschinen könnten kollidieren.

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Es ist nicht alltäglich, dass die U.S. Air Force Zivilisten die Möglichkeit gibt, eine derartige Mission mitzuerleben. Monatelang schon habe ich mich erfolglos um einen Mitflug bemüht, E-Mails geschrieben, Absagen kassiert. Als jetzt die Zusage kommt, muss alles ganz schnell gehen: Fotoausrüstung packen, Flug und Mietwagen buchen – nur fünf Tage später stehe ich morgens um 6.45 Uhr am Tor zur Royal Air Force Station Mildenhall im Westen Großbritanniens.

Seit den Fünfzigern beherbergt die britische Luftwaffenbasis Einheiten der United States Air Force in Europe. Eigentlich hätte das Gelände bereits 2022 wieder an die Royal Air Force zurückgegeben werden sollen. Doch die Briten sahen keine akute Verwendung für die Luftwaffenbasis, zunächst wurden die Pläne, die U.S.-Einheiten von dort abzuziehen, auf 2027 verschoben. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte auf dem Standort an Aktualität gewonnen: 2022 starteten von dort aus KC-135 Stratotanker und KC-10 Extender zu Missionen an der NATO-Ostflanke.

Sieben Stunden in der Luft

Der Aufenthaltsraum, in dem unser Briefing stattfindet, gleicht eher einer Lounge und könnte genauso gut aus der Filmkulisse von Top Gun stammen. Wir machen es uns auf dem Sofa bequem, der Bartresen im hinteren Teil des Raums lässt erahnen, wie die Feierabende auf dem Luftwaffenstützpunkt gelegentlich gestaltet werden. Davon sind wir allerdings gerade weit entfernt: Die heutige Mission führt in den Norden Schwedens, allein der Flug dorthin und wieder zurück dauert jeweils zweieinhalb Stunden. Dort soll unsere KC-135 je vier F-35 aus Norwegen und den Niederlanden und vier belgische F-16 betanken. Rund sieben Stunden sind für die Trainingsmission der 100. Luftbetankungsdivision angesetzt.

Wir sind nicht der einzige Tanker, der heute in dieser Region unterwegs ist. Die Arctic Challenge Exercise 2023 ist die wichtigste Übung für die Streitkräfte im hohen Norden. "Sie konzentriert sich auf die Förderung von Sicherheitsinitiativen in der Arktis und die Verbesserung der Interoperabilität im gesamten hohen Norden", beschreiben offizielle Stellen der Luftstreitkräfte das Manöver. Im Klartext: U.S.-Streitkräfte üben zusammen mit Streitkräften der verbündeten Nationen und der Partnerländer, trainieren so ihre Zusammenarbeit und pflegen ihre Beziehungen.

Militär kennt keinen Komfort

Es ist bereits zehn Uhr vormittags, als der Stratotanker von der Piste 10 in Mildenhall abhebt, das Fahrwerk in der mächtigen Boeing verschwindet und der Vierstrahler Richtung Norden auf Reiseflughöhe steigt. Eine Unterhaltung ist an Bord praktisch unmöglich. Schon vor dem Start sorgte die Hilfsturbine – in der KC-135 ist sie statt im Rumpfheck mitten in der Kabine untergebracht – für eine beeindruckende Lärmkulisse. Und im Flug macht sich nun bemerkbar, dass der Militärjet eine Schallisolierung für den Passagierraum so gar nicht kennt. Ohne ihre Headsets mit aktiver Geräuschunterdrückung hätten die Besatzungsmitglieder keine Chance, miteinander zu kommunizieren. Überhaupt ist der Komfort an Bord sehr "militärisch": Die Sitze bestehen aus Stoffbahnen, an der Rumpfwand laufen Rohre entlang, in die sie eingefädelt sind. Erinnerungen an die Feldbetten aus den Zeltlagern meiner Jugend werden wach. Überraschenderweise erweist sich die Bestuhlung auch über einen längeren Zeitraum als halbwegs bequem. Die Luftauslässe der Kabinenheizung sind eher willkürlich im Rumpf verteilt – je nachdem, wo man sitzt, ist es entweder zu warm, oder man friert.

Die KC-135 ist kein modernes Flugzeug. Der Tanker stammt wie die 707 von Boeings legendärem Prototypen 367-80 ab. 1956 rollte das erste Flugzeug von der Montagelinie, seitdem wurden über 800 Stück gebaut. 15 Jahre lang war es das einzige Muster, das der U.S. Air Force für Luftbetankungen zur Verfügung stand. Im Cockpit merkt man dem Stratotanker sein Alter an: Ja, für den Künstlichen Horizont und die Navigation sind Bildschirme verbaut, ansonsten gibt es aber nur analoge Zeigerinstrumente, wohin man blickt: Für Fluggeschwindigkeit und Flughöhe ebenso wie für die Triebwerksüberwachung der vier 96 Kilonewton starken CFM-56-Turbofans.

Gut 90 Tonnen Treibstoff kann der Stratotanker für sich selbst und zum Betanken anderer Flugzeuge an Bord nehmen, vollbeladen ist der Vierstrahler dann knapp 150 Tonnen schwer.

Die Wolkendecke über Schweden liegt weit unter uns, als niederländische Lockheed F-35 an der Fläche unseres Stratotankers auftauchen. In enger Viererformation bringen sich die Lightning II links unter dem Rumpf der KC-135 in Position. Boom Operator Crump senkt den Ausleger. Knapp fünf Minuten dauert der Tankvorgang. Dann rückt die F-35 nach rechts, um dem nächsten Jet der Formation Platz zu machen. Die Fighter-Piloten parken ihre Jets leichter ein als ich meinen Passat vor dem Supermarkt. Was so spielend einfach aussieht, ist metergenaues Fliegen per Hand bei über 200 Knoten: 47 Fuß beträgt die Soll-Entfernung zwischen Tanker und Kampfjet. Damit der seine Position hält, dirigiert ihn der Boom Operator per Funk und mit Lichtsignalen. Würde sich der Fighter aus dem zulässigen Bereich für die Betankung bewegen, müsste Crump den Ausleger abkuppeln. Kein einziges Mal kommt es dazu.

Timo Breidenstein

Noch einmal taucht eine Viererstaffel von F-35-Fightern auf, diesmal von den norwegischen Luftstreitkräften. Und schließlich lassen sich noch vier belgische General Dynamics F-16 Fighting Falcons betanken. Dann ist für Boom Operator Crump sein Arbeitstag im Unterdeck der KC-135 beendet. Der Stratotanker geht auf Südwestkurs – gut zwei Stunden später setzen wir wieder in Mildenhall auf.

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FLUGREVUE 10 / 2023

Erscheinungsdatum 05.09.2023