Erstmals unternimmt das europäische Raumfahrtkontrollzentrum der ESA (ESOC) in Darmstadt den Versuch, einen Satelliten am Ende seiner Mission halb-kontrolliert in die Atmosphäre einzufliegen. Dadurch soll das Raumfahrzeug größtenteils beim Wiedereintritt verglühen. Am Montagabend haben die Experten des ESOC das erste Manöver mit dem Windsatelliten Aeolus erfolgreich durchgeführt. Dabei wurden die Triebwerke des Satelliten für 37 Minuten und 24 Sekunden gezündet und damit die Flughöhe um etwa 30 Kilometer verringert.
Die Mission Aeolus war am 22. August 2018 gestartet, um Windprofile auf der Erde zu erfassen. Die ursprünglich als rein wissenschaftlich geplante Mission war so erfolgreich, dass der Satellit schließlich aus einer Umlaufbahn von 320 Kilometern die führenden meteorologischen Zentren Europas mit Daten seines Wind-Lidars versorgte und dabei half, Wettervorhersagen und Klimamodelle zu verbessern. Nach fast fünf Jahren (geplant waren drei) geht nun der Treibstoff zur Neige und der Satellit verliert seit dem 19. Juni täglich rund einen Kilometer an Höhe. Das erste Manöver wurde eingeleitet, als der Satellit eine Höhe von etwa 280 Kilometern erreicht hatte.
Fragmente sollen ins Meer fallen
Normalerweise würde Aeolus innerhalb einiger Monate auf natürliche Weise zurück Richtung Erde fallen und sich in der Atmosphäre zerlegen. Doch die europäische Raumfahrtagentur versucht erstmals einen unterstützten Wiedereintritt, um das ohnehin geringe Risiko von Schäden durch Weltraumschrott auf der Erde weiter zu minimieren. Typischerweise überleben 20 bis 30 Prozent der Masse eines Raumfahrzeugs den Wiedereintritt, so die ESA.
"Wir versuchen mit diesem Wiedereintritt das Beste, was die ESA tun kann, um internationale Regeln einzuhalten", so Simonetta Cheli, ESA-Direktorin für Erdbeobachtung bei einer Online-Pressekonferenz vergangene Woche. Aeolus sei entwickelt und gebaut worden, bevor die aktuellen Sicherheitsregeln für das Ende von Satellitenmissionen in Kraft getreten seien. Aeolus verfügt beispielsweise nicht über ein entsprechendes Antriebssystem, um einen kontrollierten Wiedereintritt durchzuführen.
Raketenstufen können bereits heutzutage mit ihrem Antrieb und Resttreibstoff kontrolliert in die Atmosphäre gelenkt werden, damit sie dort verglühen. Künftig sollen auch größere Satelliten gezielt auf diese Art ihren Orbit nach Abschluss ihrer Mission verlassen. Für kleinere Satelliten prophezeit Holger Krag, Leiter des ESA-Programms für Weltraumsicherheit, einen anderen Weg: den Austausch von Komponenten, die den Wiedereintritt überstehen, durch solche aus anderen Materialien.
Derzeit gilt, dass ein Satellit innerhalb von 25 Jahren nach Missionsende seinen Orbit verlassen soll. Die US-amerikanische Federal Communications Commission (FCC) hat im September 2022 beschlossen, diese Zeit auf fünf Jahre zu reduzieren, zumindest für jene Satelliten, die von der FCC lizenziert werden. Auch das World Economic Forum (WEF) empfiehlt in neuen Richtlinien vom Juni einen Zeitraum von fünf Jahren nach Missionsende für das Deorbiting.
ESA gibt sich selbst strengere Regeln
"Die ESA hat die Initiative ergriffen, um die Situation für ihre eigenen Missionen bis 2030 zu verbessern. Alles, was danach entwickelt wird, wird Weltraumschrott-neutral werden", sagte Krag. Das heiße, dass Satelliten die wertvollen Erdumlaufbahnen nach Missionsende frei machen müssen. Sollte dies nicht aus eigener Kraft gelingen, sei die aktive Entfernung von ausgedienten Satelliten durch spezielle Raumfahrzeuge im All verpflichtend. Testlauf für eine solche "Müllabfuhr im All" wird die Mission ClearSpace-1. Sie soll 2026 starten und ein altes Raketenteil einer Vega einfangen und aus dem Orbit entfernen. "Wir hoffen, dass wir durch beispielhaftes Vorangehen auch andere Raumfahrtakteure anregen können, sich mehr zu bemühen", so Krag.
In den kommenden Tagen sind weitere kritische Manöver mit Aeolus geplant, das letzte am Freitag, 28. Juli. Dann wird der finale Befehl Aeolus aus einer Höhe von 150 Kilometern auf nur noch 120 Kilometer führen. Anschließend wird der Satellit in die Atmosphäre eintreten. Auf rund 80 Kilometern Höhe wird nach Angaben der ESA der Großteil des Raumfahrzeugs verglühen, einige wenige Fragmente könnten jedoch die Erdoberfläche erreichen. Das ESOC-Team sorgt dafür, dass diese Teile auf dem Atlantik und nicht auf Land niedergehen.