Der zweite Flug der neuen europäischen Trägerrakete Vega-C am 20. Dezember 2022 von Kourou endete in einem Desaster: 151 Sekunden nach dem Start, kurz nach der Zündung der zweiten Stufe, einer Feststoffrakete namens Zefiro 40, kam die Rakete vom Kurs ab und wurde gemäß der Sicherheitsprozeduren gesprengt. Dabei wurden die Nutzlasten, die Airbus-Satelliten Pléiades Neo- und -6 zerstört. Es war der dritte Fehlschlag einer Vega-Rakete innerhalb von acht Starts in den vergangenen dreieinhalb Jahren.
Schon bei der Pressekonferenz nach dem Fehlstart hatte Arianespace-Chef Stéphane Israel von einem Druckverlust gesprochen. Das hat sich im Verlauf der Untersuchungen durch eine unabhängige Expertenkommission bestätigt. Am Freitag wurden die Ergebnisse des Untersuchungsberichts bei einer Pressekonferenz vorgestellt.
"Die genauere Ursache war laut Untersuchungsausschuss eine unerwartete übermäßige thermomechanische Erosion der aus kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff bestehenden Schubdüsenhalsauskleidung, die von Avio in der Ukraine beschafft wurde", so die europäische Weltraumorganisation ESA in einer Pressemitteilung. Zusätzliche Untersuchungen hätten ergeben, dass diese wahrscheinlich auf eine mangelnde Homogenität des Werkstoffs zurückzuführen sei.
Keine grundsätzlichen Konstruktionsmängel
Das betreffende Material kommt nach Angaben von Pierre-Yves Tissier, CTO von Arianespace und Co-Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, nur im Zefiro-40-Antrieb zum Einsatz. Es wird nun nicht mehr für Vega-C-Flüge genutzt. Stattdessen will der italienische Hauptauftragnehmer Avio künftig auf einen anderen kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff von ArianeGroup setzen, der bereits für die Schubdüsen der Vega-Triebwerke Zefiro-23 und Zefiro-9 verwendet wird. "Es gibt keine Design-Schwachstellen am Zefiro-40", betonte Gulio Ranzo, CEO von Avio. Die Vorgänger-Rakete Vega sei nicht von den Problemen betroffen.
Zulieferer der fehlerhaften Schubdüsenhalsauskleidung war das ukrainische Raumfahrtunternehmen Juschnoje, das auch das Flüssigkeitstriebwerk der Oberstufe der Vega-C und der Vega herstellt. Ranzo sagte, dass die mangelnde Qualität nicht mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhänge, schloss aber nicht aus, dass etwaige Lockdowns während der Corona-Pandemie dazu beigetragen haben könnten.
Warum das Problem nicht bereits bei zwei Heißlauftests des Zefiro-40 entdeckt wurde, erklärt Giovanni Colangelo, Generalinspekteur der ESA, folgendermaßen: "Die Teile waren besser als in den Spezifikationen gefordert." Das trifft auch für die Schubdüsenhalsauskleidung zu, die beim Erstflug im Juli 2022 zum Einsatz kam. Das Teil für VV22 haben hingegen exakt in den Spezifikationen gelegen. Die Akzeptanz-Kriterien seien nicht die richtigen gewesen, gibt Colangelo zu.
Europäische Trägerraketen in der Krise
Als Folge des jüngsten Fehlstarts sollen nicht nur zusätzliche Tests und Analysen durchgeführt werden, um die Zuverlässigkeit des Alternativmaterials sicherzustellen, das Zefiro-40-Triebwerk soll auch eine weitere Qualifikationsphase durchlaufen. Zudem will man die gesamte Zuliefererkette auf potenzielle Qualitätsmängel unter die Lupe nehmen.
Die Probleme mit der Vega-C haben, ebenso wie die Verspätung der Ariane 6 und der Wegfall der Sojus aufgrund der Sanktionen gegen Russland, Einfluss auf die Jahresplanung des europäischen Startdienstleisters Arianespace. Nur fünf Starts sind aktuell für 2023 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana geplant: die letzten beiden Ariane 5 am 13. April (ESA-Sonde JUICE) und im Juni (Syracuse 4B und Heinrich Hertz), eine Vega Ende des Sommers (Nutzlast wurde noch und die erste Ariane 6 Ende des Jahres. Die Vega-C soll nach ihrem Fehlschlag ebenfalls Ende 2023 zurückkehren und den europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-1C ins All bringen. "Wir sind in einer Krise", sagte der ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher.