Jakowlew Jak-42: Der untote Jet-Ladenhüter aus der Sowjetunion fliegt seit 50 Jahren

50 Jahre Jak-42
Der untote Jet-Ladenhüter aus der Sowjetunion

Zuletzt aktualisiert am 07.03.2025

Der Logenplatz ist schnell im Blick: Sitzreihe 19 am Fenster, rechts oder links ist egal. Wer den Mitflug in einer Jakowlew Jak-42 mit allen Sinnen genießen will, der muss sich dort hinten hinsetzen – da wo die Triebwerke von draußen durchs kreisrunde Glas nach drinnen blicken und mit Nachdruck ihren kreischend-vibrierenden Gruß in die Kabine schicken. Ganz elegant geht man dort auch ungewolltem Smalltalk mit dem Nebensitzer aus dem Weg – ist das Turbofan-Trio um einen herum erstmal auf Touren, versteht man ihn ohnehin nicht mehr. Und das bleibt so, bis nach der Landung. Bei lediglich 750 km/h Reisegeschwindigkeit hat man unterwegs aber genügend Zeit, um sich im Notfall ein Gesprächsthema zu überlegen.

19 aktive Jak-42 listet die Datenbank russianplanes.net mit Stand März 2025 auf. Rund eine Handvoll davon ist bei staatlichen Behörden und Instituten in Russland und Kasachstan gelistet, ein paar weitere Exemplare fliegen als VIP-Jets im privaten Charterdienst. Doch auch normalsterbliche Passagiere können heute noch in den Genuss eines Mitflugs in einer Jak-42 kommen – etwa wenn sie bei der sibirischen Krasavia buchen. Die Airline mit Sitz in Krasnojarsk setzt gleich sechs Jak-42D im Liniendienst ein und ist damit die größte verbliebene Betreiberin des Trijets, der vor genau 50 Jahren, am 7. März 1975, auf dem Chodynkafeld in Moskau zu seinem Jungfernflug abhob.

Krasavia befördert mit den Jaks vor allem Öl- und Bergbauarbeiter, die Flüge lassen sich jedoch ganz regulär über die Website buchen. Auch Izhavia aus der Republik Udmurtien hat die Jak-42D wieder aus der Versenkung geholt und betreibt derzeit vier Exemplare vornehmlich für Chartereinsätze. Fünf weitere Maschinen hält Izhavia als stille Reserve im Lager am Heimatflughafen Ischewsk.

Jakowlew Jak-42 im Einsatz.
FR-Archiv

Späte Genugtuung

Dass die Jak-42 fünf Jahrzehnte nach dem Erstflug weiter zahlende Passagiere transportiert, könnte man als späte Genugtuung für die Väter des Jakowlew-Entwurfs werten, der sich gegen die Konkurrenz aus dem Hause Tupolew nie wirklich behaupten konnte. Zwar war die Jak-42 ausdrücklich auch als Ersatz für die frühen Varianten der Tu-134 gedacht. Während Tupolew von der Tu-134 insgesamt jedoch über 850 Stück und von der größeren Tu-154 sogar mehr als 1.000 baute, fristete die Jak-42 mit nur 193 produzierten Exemplaren – inklusive Prototypen – allein zahlenmäßig zeitlebens ein Schattendasein. Dafür sind Tu-134 und Tu-154 – mit Ausnahme einzelner Flugfossilien in Nordkorea – heute weltweit aus dem zivilen Flugbetrieb verschwunden, während die Jak-42 weiter munter über Russlands Weiten donnert.

Mit ihren drei D-36-Turbofans von Iwtschenko Progress, den ersten sowjetischen Strahltriebwerken mit hohem Nebenstromverhältnis, war die Jak-42 bei ihrem Erscheinen in den 70er-Jahren eine wahre Verheißung in puncto Wirtschaftlichkeit. Den ersten Prototyp CCCP-1974 hatte Jakowlew noch mit einer Tragflächenpfeilung von nur elf Grad ausgestattet, was sich aber schnell als unzureichend erwies. Ab dem zweiten Testflugzeug CCCP-1975 erhielt die Jak-42 ihren bis heute gängigen Flügel mit 23 Grad Pfeilung. Insgesamt entstanden zwischen 1975 und 1978 vier Prototypen und vier Vorserienexemplare der Jak-42. Die Serienproduktion startete schließlich im Frühjahr 1978 im Flugzeugwerk Saratow. Ende November 1980 erhielt der Dreistrahler seine Musterzulassung und feierte am 22. Dezember desselben Jahres bei Staatscarrier Aeroflot seine Passagierpremiere auf der Strecke von Moskau nach Krasnodar.

Jakowlew Jak-42 im Einsatz.
FR-Archiv

Katastrophe und Grounding

In den Folgejahren schritt das Jak-42-Programm jedoch deutlich langsamer voran als geplant. Bis Mitte 1981 erhielt Aeroflot lediglich zehn Maschinen. Eine zweite Endmontagelinie in Smolensk brachte keine nennenswerte Besserung. Das Feedback der Passagiere auf die Jak-42 fiel dafür sehr gut aus, und Aeroflot schickte ihren neuen Jet infolgedessen auch zu internationalen Zielen wie Helsinki oder Prag.

Ein Aeroflot-Linienflug von Leningrad nach Kiew endete am 28. Juni 1982 in einer Katastrophe: Die Jak-42 mit der Kennung CCCP-42529 geriet in großer Höhe über Weißrussland in einen unkontrollierten Sturzflug und brach dann in der Luft auseinander. Alle 124 Passagiere und acht Besatzungsmitglieder fanden den Tod. Als Reaktion auf das Unglück erhielt die gesamte Jak-42-Flotte Flugverbot, bis die Unfalluntersuchung abgeschlossen war. Die Ermittler identifizierten schließlich eine falsch montierte Höhenleitwerkstrimmung als Ursache für den Absturz. Durch den Fehler kam es am Gewinde zu verstärkter Korrosion und Abnutzung. Beim Unglücksflug war das Gewinde dann so stark abgenutzt, dass die Trimmstange hindurchrutschte und zunächst an der Begrenzungsmutter hängen blieb. Die Mutter gab kurz darauf ebenfalls nach, und das lose Höhenleitwerk brachte die Jak-42 in den Sturzflug.

Die Behörden ordneten daraufhin den Austausch der betreffenden Komponenten in allen Jak-42 an. Erst im Oktober 1984 konnte das Muster sein Comeback im Liniendienst feiern – erholte sich von diesem Rückschlag allerdings nie wieder. Ein zweites zeitweiliges Grounding ereilte die Jak-42 Jahrzehnte später, nach dem Absturz der RA-42434 am 7. September 2011 bei Jaroslawl, bei dem fast die gesamte Eishockeymannschaft des Proficlubs Lokomotive Jaroslawl ums Leben kam. Allerdings war dieser Crash kurz nach dem Start letztlich nicht auf technisches Versagen, sondern auf einen Pilotenfehler zurückzuführen.

Jakowlew Jak-42 im Einsatz.
Patrick Zwerger

Die Top-Version Jak-42D

Das Erscheinen der verbesserten, reichweitenstärkeren Variante Jak-42D brachte Ende der 1980er-Jahre noch einmal ein wenig Schwung in das Jak-42-Programm. Die finale Version des Trijets besaß Platz für 3.100 Liter mehr Kerosin, wodurch sie deutlich weiter fliegen konnte als die Jaks der Basisausführung. Mit der Jak-42D konnte Jakowlew die Verkaufszahlen wieder ankurbeln. Die Serienfertigung überdauerte das Ende der Sowjetunion und lief bis Mitte der Neunzigerjahre weiter. Die letzte neu gebaute Jak-42D wurde gar erst 2003 übergeben, ein weiteres im Bau befindliches Exemplar kurz darauf zersägt. Schlussendlich stellte die Jak-42D mit 125 gebauten Exemplaren den Löwenanteil – und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass man die Silhouette der Jak-42 bis heute am Himmel sehen kann, denn alle noch aktiven Exemplare sind Jak-42D.