Aktuelle Entwicklungsprogramme: Neue Jets im Flugtest

Aktuelle Entwicklungsprogramme
Diese neuen Jets befinden sich derzeit im Flugtest

Veröffentlicht am 10.12.2023

Letzter Aufruf für Flug AIB101, den "Passenger Experience Flight" mit der A321XLR, F-WWAB am 5. Oktober um elf Uhr vormittags. Vom Airbus-Auslieferungszentrum in Toulouse durften sich 167 Airbus-Mitarbeiter nach einer kurzen Einweisung als Testpassagiere zu einem sechs Stunden und zwölf Minuten langen Rundflug über Europa, via Italien, Niedersachsen und Schottland und wieder nach Frankreich, auf den Weg machen.

Airbus

Kabinenfuntionen werden geprüft

Dabei waren noch 11 Besatzungsmitglieder der regulären XLR-Flugtestmannschaft und 22 zusätzliche Airbus-Testingenieure an Bord, um die Kabinenfunktionen bei vollem Passagierbetrieb zu prüfen. Die Zweiklassen-Innenausstattung der Kabine entsprach, bis auf einige fehlende Sitzreihen, an deren Stelle eine Computer-Testwarte der Flugtestingenieure installiert war, weitgehend Airline-Standard. Nur die überall versteckten kleinen Mikrophone, die den Geräuschpegel und etwaige Vibrationen von Verkleidungen der verbesserten "Airspace"-Kabineneinrichtung messen sollten, und ausführliche Fragebögen für alle Mitreisenden über deren körperliches Wohlbefinden an Bord erinnerten daran, dass die Passagiere hier nicht nur zum Vergnügen unterwegs waren. Denn heute ging es zum Beispiel um etwaige Zugluft, subjektiv angenehme Temperaturen und Beleuchtung in der Kabine, die elektrischen Steckdosen an den Sitzen, die Küchen, die problemlose Funktion der Waschräume und deren Wasseranlage. Mit bis zu elf Stunden Flugausdauer kann eine XLR viel länger in eisiger Höhenluft verbringen als ihre A321neo-Mittelstreckenschwestern. Entsprechend wurde die Isolierung verstärkt. Dabei geht es auch um den neuen, platzsparenden Rumpftank der XLR hinter dem Flügel. Er enthält 12 900 Liter Kerosin und reicht bis an den Kabinenfußboden hoch, sodass auch hier eine Isolierung vor etwaiger "Fußkälte" schützt.

Praxistest noch vor dem Einsatz

Vom 13. September bis zum 5. Oktober wurde die Test-XLR, F-WWAB im Rahmen der Early Long Flights wie später im Liniendienst in einem relativ engen Testflugplan eingesetzt. Dabei ging es um den Wechsel kurzer und langer Flüge, kurze Abfertigungszeiten und typische Bodenabläufe eines Linienflugzeugs an echten Verkehrsflughäfen mit normalen Flughafenbeschäftigten. In dieser Phase kann man noch letzte Details verbessern und Kinderkrankheiten geräuschlos ausbügeln, statt dass vielleicht ein Kunde, bei der XLR zum Beispiel American Airlines, United Airlines, Qantas, IndiGo oder Wizz Air, seine Neuerwerbung später gleich wieder abstellen muss, ohne sie einträglich Linie fliegen lassen zu können. Über 100 Flugteststunden wurden dafür in dieser Testphase abgespult, zu der auch Atlantiküberquerungen gehörten. Für einen Test der Navigationsanlage, die nördlich von 73 Grad nördlicher Breite und südlich von 60 Grad automatisch auf polare Navigation umschaltet, flog die A321-200NX, so der Flugplancode, elf Stunden aus Toulouse bis kurz vor den Nordpol und zurück. Die Navigationsanlage errechnet an den Polen jeweils die True Heading und verwendet nicht mehr magnetisch Nord.

Patrick Zwerger

Triple Seven voll im Testbetrieb

Auch bei Boeing laufen wichtige Flugtestkampagnen für Verkehrsflugzeuge auf Hochtouren. So waren die drei Testflugzeuge der Boeing 777-9 im Monat September 160 Flugteststunden im Einsatz, ein neuer Rekordwert. WH001 und WH002 flogen davon jeweils 43 Stunden und WH003 erreichte sogar fast 74 Flugstunden. Im August 2020 war das Trio 145 Stunden in der Luft gewesen, der zuvor beste Monatswert. Auf der Pariser Luftfahrtmesse 2023 hatte Boeing den größten Twin der Welt im Sommer mit spektakulären Steilkurven vorgeflogen und bewiesen, dass seitens Boeing die Anfangsflugerprobung so gut wie abgeschlossen ist und sich die Triple Seven X perfekt handhaben lässt. Nun steht für den Riesentwin die "TIA" (Type Inspection Authorization der FAA) an, die nächste Flugtestphase, deren Ergebnisse ab dann für die Zulassung gewertet werden, und ab der, nach den bisher ausschließlichen Boeing-Mitarbeitern, dann auch Prüfer der Luftfahrtbehörde FAA an Bord mitfliegen dürfen und am Steuer sitzen.

Hoffnung auf baldige Auslieferung bei Boeing

Bekanntlich hätte die 777-9 schon 2020 zugelassen sein sollen, doch wegen Verspätungen der neuen GE9X-Triebwerke und nach einem Schaden bei einem Strukturtest geriet der Plan ins Rutschen. Als Lehre aus der MAX-Krise wurden außerdem die Zulassungsbehörden strenger und nehmen sich nun mehr Zeit für die Prüfung. Bei der 777-9 könnte dies auch zusätzliche Reservesysteme der Flugsteuerung zur Folge haben, was zeitraubender Änderungen bedürfte. Mittlerweile hofft Boeing, vorsichtiger kalkulierend, auf eine Zulassung und erste Auslieferungen 2025. So lange dürfte es mit der Boeing 737 MAX nicht mehr dauern. Ihre beiden Versionen 737-7 und 737-10 lauern auf die Zulassung. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: Die 737-7 soll als erste MAX-Version ein drittes, elektronisches Anstellwinkelmesssystem erhalten, das später in der kompletten MAX-Familie nachgerüstet werden soll. Die Integration in die bestehende Cockpit-Software hat sich jedoch als unerwartet kompliziert erwiesen. Brancheninsider spekulieren bereits, dass Boeing bei der FAA beantragen könnte, die 737-7 noch im Cockpitstandard heutiger Serien-737-8 ausliefern zu dürfen, bis die zeitraubenden Änderungen erstmals in die längste Version 737-10 eingebaut werden, um erst danach in alle anderen Schwesterflugzeuge eingerüstet zu werden. Mit ihrem neuen Chef Mike Whitaker, den Ende Oktober der US-Senat im Amt bestätigte, ist die FAA nun wieder komplett. Allerdings dürfte Whitakers Aufmerksamkeit zunächst vor allem der personell stark unterbesetzten US-Flugsicherung gelten.

Boom

Tief in der Wüste

Das eigentliche Mekka der Flugtestwelt ist aber weder Toulouse noch Seattle, sondern die einsame Mojave-Wüste, im amerikanischen Westen gelegen. Hier machen sich derzeit viele Stars der Szene zu Testflügen bereit: Zum Beispiel in Mojave City der sechsstrahlige Doppelrumpf-Gigant Scaled Composites Model 351 Stratolaunch, auch "Roc" genannt. Er wird gerade zur Startplattform für Hyperschall-Flugkörper umfunktioniert und fliegt bereits mit seiner neuen Lastaufhängung und angehängten Testflugkörpern, die er auf Ausklinkhöhe in dünne Höhenluft trägt. Schon rollend, aber noch am Boden, kann man in Mojave auch die Boom XB-1 beobachten. Der dreistrahlige Testeinsitzer sollte als stark verkleinerter Vorläufer eines Überschall-Passagierflugzeugs dienen, dessen Konzept sich aber mittlerweile vom Drei- zum Vierstrahler im Stil einer verkleinerten Concorde verändert hat.

NASA

Über Edwards

Streng geheim geht es nebenan in Palmdale zu, wo sich bei Northrop Grumman die erste B-21 mit Rolltests zum Erstflug rüstet. Der für Radar nur schlecht erfassbare Nurflügel-Bomber mit neuester Technik wird mit dem Erstflug ins benachbarte Edwards verlegt und seine restlichen Testflüge in der dortigen Abgeschiedenheit absolvieren. In Palmdale entsteht auch Boeings neue X-66A. Ein Testflugzeug mit extrem schmalen und dadurch sehr widerstandsarmen Flügeln. Damit es schneller geht, dient eine 25 Jahre alte MD-90 als Teilespender für das Testflugzeug. Diese N931TB reiste bereits nach Palmdale. Dort steht auch schon die X-59A der NASA zum Erstflug bereit. Sie soll, dank einer extrem langen Bugspitze, Überschallflüge mit deutlich vermindertem Knall schaffen. Doch kürzlich teilte die NASA mit, den vor Jahresende geplanten Erstflug der X-59A auf 2024 zu verschieben. Damit steht für die NASA als Nächstes ein Flugtest mit Boeings EcoDemonstrator Explorer an, einer Boeing 737 von United, die testweise mit synthetischem SAF-Kerosin betrieben wird. Direkt hinterher fliegt eine DC-8 der NASA als Laborplattform und misst die Abgaswerte hinter dem Testflugzeug.

Boeing

Testpiloten bleiben am Boden

Neben Boeing plant auch Airbus eine Testreihe, allerdings in Frankreich. Dazu wird eine umgebaute Cessna Citation VII eingesetzt, die für das Forschungsprogramm Airbus UpNext einen komplett neuen Testflügel erhält. Dieser kann im Flug sein Profil verändern und durch Verstellung aktiv strukturelle Spitzenlasten vermindern. Dadurch könnten eines Tages viel leichtere, treibstoffsparendere Flugzeuge möglich werden. Weil die Tests dafür bis an die Grenzen der Belastbarkeit gehen, erfolgen die eigentlichen Testflüge unbemannt und an einem entlegenen französischen Militärflugplatz. Die Testpiloten bedienen ihren Jet währenddessen ohne Gefahr vom Boden aus. Bisher wurde der Twin F-WXWG, noch klassisch bemannt, beim Rollen in Toulouse beobachtet.