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Was sind die Treibstoffe der Zukunft?

Die Luftfahrt muss sich von fossilen Treibstoffen verabschieden, wenn sie ihre Klimaziele erreichen will. Es gibt Alternativen, aber auch noch viele Hürden. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was sind die Treibstoffe der Zukunft?
Foto: NASA/Eddie Winstead

Es ist farblos, flüssig und quasi ein Abfallprodukt: Kerosin. In einem Kilogramm stecken etwa zwölf Kilowattstunden Energie – rund 50-mal so viel wie in den heute fortschrittlichsten Batterien. Es ist leicht und kann platzsparend in Flügeltanks untergebracht werden. Kerosin ist schwer entzündlich, bleibt auch bei niedrigen Temperaturen flüssig und ist unkompliziert in der Handhabung. Und es ist relativ günstig. Allerdings setzt Kerosin bei der Verbrennung mit Sauerstoff das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid frei. Hinzukommen weitere Schadstoffe und Partikel, darunter Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Kohlenwasserstoffe sowie Rußteilchen, die die Bildung von Kondensstreifen begünstigen. Ohne Maßnahmen, also unter Beibehaltung der heutigen Flotte und aktueller Flugbetriebseffizienz, würde das Wachstum des Luftverkehrs nach Angaben der Air Transport Action Group (ATAG) dazu führen, dass 2050 mehr als 620 Megatonnen Kerosin (2021: ca. 228 Mt) verbraucht und fast 2000 Megatonnen CO2 (2021: 720 Mt) ausgestoßen werden.

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Boeing SAF Release -- 1
Boeing
Bei der Verbrennung von einem Kilogramm Kerosin entstehen 3,15 Kilogramm Kohlenstoffdioxid.

Welche Alternativen zu Kerosin gibt es?

Die Luftfahrtindustrie bevorzugt "Drop-in"-Treibstoffe mit nahezu identischen Eigenschaften wie Jet-A/Jet-A1. Sie werden als nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, SAF) bezeichnet. Darunter versteht man fortschrittliche Biotreibstoffe aus erneuerbaren Ressourcen (zum Beispiel Rückstände aus der Land- und Forstwirtschaft, organische Siedlungs- und Industrieabfälle, pflanzliche oder tierische Altöle und -fette) oder synthetische Kraftstoffe. SAF sind heute als maximal 50-prozentige-Beimischungen zu herkömmlichem Kerosin zugelassen. Die Branche untersucht auch vollsynthetische, reine SAF, sogenannte "Near Drop-in"-Treibstoffe. In älteren Triebwerken und Kraftstoffsystemen können sie nicht ohne weiteres verwendet werden, weil sie praktisch keine Aromaten enthalten. Die zum Teil noch eingesetzten Nitril-Dichtungen benötigen Aromaten, um aufzuquellen, und müssten ausgetauscht werden. Ohne Aromaten wird aber die Rußbildung verringert, das heißt, reines SAF reduziert auch die Kondensstreifenbildung. Die Standardisierungsbehörde ASTM International ist dabei, die Spezifikationen von reinem SAF festzulegen. Das wird aber noch mindestens bis 2024 dauern.

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Wieso schneiden SAF besser bei den Emissionen ab?

Bei der Verbrennung von SAF entsteht weiterhin CO2. Allerdings wird der für die Herstellung benötigte Kohlenstoff, anders als bei fossilem Kerosin, in einer deutlich kürzeren Zeitspanne aus der Atmosphäre abgeschieden – je nach verwendetem Ausgangsmaterial durch pflanzliche Fotosynthese oder technische Direktabscheidungsverfahren. Durch diesen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf kann nach Angaben des Nationalen Wasserstoffrats über den gesamten Produktlebenszyklus schon heute mehr als 50 Prozent CO2 im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin eingespart werden. Mit reinem SAF wäre bei gleichzeitiger Optimierung der Brennertechnologie im Triebwerk eine Reduzierung der CO2-Emissionen um bis zu 80 Prozent, der Ruß- und Partikelemissionen um bis zu 90 Prozent und der NOx-Emissionen um fast 100 Prozent möglich.

Jane Widdowson
Flugzeughersteller Airbus betreibt seine Beluga-Transporter bereits mit einer bis zu 35-prozentigen SAF-Beimischung von Hamburg und Broughton aus.

Wie werden SAF hergestellt?

Bisher gibt es sieben nach ASTM D7566 zugelassene Herstellungsverfahren (siehe Tabelle S. 66) sowie zwei Pfade für die Mitraffination in Mineralölraffinerien. Die großtechnische SAF-Produktion ist jedoch nach Angaben von aireg, einer deutschen Initiative für Flugkraftstoffe aus regenerativen Energien, bisher praktisch auf einen einzigen Herstellungspfad beschränkt, nämlich das sogenannte HEFA-Verfahren (Hydroprocessed Esters and Fatty Acids) auf Basis von pflanzlichen und tierischen (Alt-)Ölen und -Fetten. Dabei werden Ester und Fettsäuren in einer katalytischen Reaktion mit Wasserstoff aufbereitet und anschließend raffiniert. Die Ressourcen für HEFA-Kerosin und andere nachhaltige Biotreibstoffe sind allerdings begrenzt.

Welche Herstellungsverfahren könnten in Zukunft wichtig werden?

Hoffnungsträger sind Power-to-Liquid- und Sun-to-Liquid-Kraftstoffe. Bisher sind sie aber noch nicht in industriellem Maßstab verfügbar. Beim PtL-Verfahren wird Wasser mithilfe elektrischer Energie in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Durch Zufuhr von CO2 (z.B. aus Biogasanlagen, Zementwerken oder aus der Atmosphäre) und anschließender Fischer-Tropsch- oder Methanol-Synthese wird synthetisches Rohöl hergestellt, das zu E-Kerosin weiterverarbeitet werden kann. Das StL-Verfahren nutzt direkt die Sonnenwärme, um in einem thermochemischen Reaktor aus Wasser und Kohlenstoffdioxid in einem zweistufigen Prozess Synthesegas zu erzeugen. Beide Verfahren gelten als vielversprechend, weil in der Theorie Sonnen-, Wind- und Wasserkraft unbeschränkt zur Verfügung stehen. Praktisch ist man aber auf Länder angewiesen, die viel erneuerbare Energien und Fläche bereitstellen können, beispielsweise Mauretanien oder Saudi-Arabien.

Wie viel Strom die Herstellung von E-Kerosin verschlingt, verdeutlicht dieses Rechenbeispiel: Um die 2019 in Deutschland getankte Kerosinmenge in Form von E-Fuel zu erzeugen, wären laut Bundesregierung 270 Terrawattstunden Öko-Strom erforderlich – 30 TWh mehr, als im selben Jahr in der Bundesrepublik an Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde. Hinzu kommt bei E-Kerosin ein schlechter Wirkungsgrad: Er liegt nach Angaben des Interessenverbands Hydrogen Europe bei elf Prozent. Effizienter ist die Herstellung von StL-Kerosin, da sie auf die Umwandlung von Solarenergie in Elektrizität verzichtet. Zudem könnte die tagsüber erzeugte Solarwärme kostengünstig gespeichert werden. "Ein weiterer Vorteil ist, dass unsere Solartreibstoffanlagen unabhängig vom Stromnetz sind und nicht mit der landwirtschaftlichen Nachfrage nach Ackerland konkurrieren", sagt Philipp Furler, CEO und Co-Gründer des Schweizer Solartreibstoff-Pioniers Synhelion.

Synhelion
In Jülich baut Synhelion derzeit mit DAWN die erste industrielle Produktionsanlage für Solarkerosin. Auf dem Bild der DLR-Solarturm in Jülich, den Synhelion für Tests nutzt.

Und was ist mit Wasserstoff direkt, ohne den Umweg über Solar- oder E-Kerosin?

Wasserstoff ist kohlenstofffrei, das heißt, es entsteht bei seiner Umwandlung in Energie kein CO2. Abgase sind bei der Direktverbrennung in Gasturbinen Stickoxide und Wasserdampf, bei der Umwandlung in Strom in einer Brennstoffzelle entsteht nur Wasserdampf. Welche Effekte der im Vergleich zur Kerosinverbrennung etwa dreimal so hohe Wasserdampfausstoß in der Atmosphäre hat, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Ein Kilogramm Wasserstoff enthält fast drei Mal so viel Energie wie ein Kilogramm Kerosin, beansprucht aber selbst in verflüssigter, tiefkalter Form das Vierfache an Volumen. Wegen der Anforderungen an Tanks und Kraftstoffsystem wären komplett neue Flugzeuge und Antriebe nötig. Auch die Infrastruktur am Boden (Herstellung, Logistik, Speicherung und Verteilung am Flughafen) müsste aufwendig angepasst oder neu aufgebaut werden. Immerhin ist der Wirkungsgrad bei der Herstellung von grünem Wasserstoff höher als bei synthetischem Treibstoff (Solar- und E-Kerosin), weil der anschließende Syntheseprozess wegfällt. Es gehen bei der Elektrolyse aber je nach Verfahren 20 bis 40 Prozent Energie verloren.

Wie hoch ist der SAF-Anteil am weltweit verfügbaren Treibstoff derzeit?

Sehr niedrig. Laut der Internationalen Energieagentur IEA war 2021 weniger als 0,1 Prozent des weltweit verfügbaren Treibstoffs SAF, in absoluten Zahlen rund 125 Millionen Liter. 2022 waren es nach Schätzungen des internationalen Airline-Verbands IATA zwischen 300 bis 450 Millionen Liter SAF.

Wie viel SAF müsste zur Verfügung stehen, um die Emissionen zu beeinflussen?

Laut IATA muss die Produktion bis 2050 auf jährlich rund 450 Milliarden Liter SAF hochgefahren werden, um die angepeilte Netto-Null beim CO2-Ausstoß zu erreichen (siehe Grafik S. 68). Das entspricht einer Vertausendfachung der im optimistischen Fall geschätzten Herstellungsmenge 2022.

Wird Fliegen in Zukunft teurer?

Wahrscheinlich schon, denn die Herstellung alternativer Treibstoffe ist (noch) deutlich teurer als von fossilem Kerosin. Der Preis von SAF beträgt nach Angaben von Thorsten Lange, Executive Vice President Renewable Aviation beim finnischen SAF-Hersteller Neste, das Drei- bis Fünffache von herkömmlichem Kerosin. Wie sich die Preise, vor allem von E-Kerosin, entwickeln, ist schwer vorherzusehen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch fossiles Jet-A1 teurer wird. "Die Frage ist nicht: Muss Fliegen teurer werden? Sondern: Können wir es uns weiter erlauben, nicht nachhaltig zu fliegen?", sagt Lange.

MoD Crown Copyright
Auch in der Militärluftfahrt wird mit SAF experimentiert. Im November 2022 absolvierte eine A330 MRTT einen Testflug mit reinem Biokerosin in beiden Triebwerken.

Sind nachhaltige Flugkraftstoffe die Lösung für das Klimaproblem der Luftfahrt?

Flugzeug- und Triebwerkshersteller haben in den vergangenen sechs Jahrzehnten den Treibstoffverbrauch und die CO2-Emissionen um etwa 80 Prozent verringert. Allerdings werden weitere Verbesserungen an Flugzeugen, Triebwerken und Flugsicherungsverfahren, marktbasierte Maßnahmen (z.B. CO2-Ausgleichszahlungen) und selbst revolutionäre Flugzeuge und Wasserstoff-Antriebe nicht ausreichen, um bis 2050 Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen. SAF sind auf absehbare Zeit die wichtigste Möglichkeit für die Luftfahrt, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Die IATA geht davon aus, dass im Jahr 2050 nachhaltige Treibstoffe zu 65 Prozent zur Emissionsreduktion beitragen. SAF sind für die Branche zudem die einfachsteLösung, weil weder an Flugzeugen noch an der Infrastruktur große Änderungen erforderlich sind. Die Hürden sind jedoch die Hochskalierung der Produktion und die Kosten. Die ATAG schätzt, dass in den kommenden 30 Jahren bis zu 1,45 Billionen US-Dollar (etwa 1,33 Bio. Euro) Investitionen zum Aufbau der SAF-Produktionskapazitäten nötig sind.

SAF allein reichen aber nicht. Ohne eine beschleunigte Entwicklung alternativer Flugzeug- und Antriebskonzepte, Verbesserungen im Flugverkehrsmanagement und Kompensationsmechanismen können die Klimaziele nicht erreicht werden, so das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in der Studie DEPA 2050.

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Erscheinungsdatum 05.05.2023