Im chinesischen Kalender regiert seit dem 22. Januar der Hase. 2023 ist sein Jahr, mit einem rauschenden Neujahrsfest löste er den Tiger ab, in dessen Zeichen das zurückliegende Jahr gestanden hatte. In der Riege der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen verkörpert der Hase Langlebigkeit, Wohlstand und Frieden. 2023 gilt chinesischen Astrologen daher, ungeachtet der aktuellen geopolitischen Gemengelage, als ein Jahr der Hoffnung. Die perfekte Zeit also, könnte man meinen, um auch den neuen Hoffnungsträger der chinesischen Luftfahrt so richtig durchstarten zu lassen. Die Rede ist von der Comac C919, Chinas modernstem selbstgebauten Airliner.
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Steiniger Weg nach oben
Die C919 soll China dabei helfen, in die Riege der großen Passagierflugzeughersteller aufzusteigen. Der Zweistrahler mit Standardrumpf wildert im Revier von Boeing 737MAX und Airbus A320neo, und auf dem großen heimischen Luftfahrtmarkt genießt er künftig Heimvorteil. Für Chinas Regierung ist die C919 ein Prestigeprojekt – allerdings eines, das einige Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan herhinkt. Denn eigentlich hatte Comac einst davon gesprochen, die erste C919 schon 2014 in die Luft zu bringen und 2016 das erste Flugzeug an einen Kunden auszuliefern.
Daraus wurde bekanntlich nichts. Die erste C919 hob erst am 5. Mai 2017 zum Jungfernflug ab. Es folgte eine langwierige Flugerprobung, verbunden auch mit Rückschlägen. So offenbarten Tests Anfang 2020, dass Comac-Ingenieure die Kräfte falsch berechnet hatten, die im Flug auf die Triebwerke wirkten. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters soll es in der Erprobungsphase auch zu Rissbildung am Höhenleitwerk gekommen sein.

Die erste C919 in Airline-Farben
Dass man bei Comac trotz des überdehnten Zeitplans, der durch die Corona-Pandemie endgültig gesprengt wurde, nicht in Panik geriet und keine übereilten Schritte unternahm, spricht für die Ernsthaftigkeit, mit der man in China an dem Projekt arbeitet. Als Belohnung winkte schließlich im September 2022 die Musterzulassung der chinesischen Luftfahrtbehörde, am 9. Dezember übernahm China Eastern als erste Airline eine C919. Die als B-919A registrierte Maschine ist die insgesamt siebte ihrer Spezies und verkörpert als Vorserienexemplar das Bindeglied zwischen den sechs Prototypen und den echten Serienflugzeugen, die in Shanghai von der Endmontagelinie rollen.

Countdown zum ersten Einsatz
Am 26. Dezember 2022 startete die B-919A zu ihrem ersten Streckenflug. Es war der Auftakt zu einem weiteren, auf 100 Stunden angesetzten Validierungsprozess, mit dem Comac und China Eastern gemeinsam die Tauglichkeit der C919 für den Linienverkehr nachweisen wollen. Bei den Test-Umläufen werden reale Alltagsszenarien simuliert, vom Ein- und Aussteigen der Passagiere über die Abfertigung des Flugzeugs an den Zielflughäfen bis zu Wartungsmaßnahmen im laufenden Betrieb. Bis zum 2. Februar ist die Debütantin fast täglich in der Luft gewesen – unterbrochen lediglich durch eine mehrtägige Verschnaufpause zum chinesischen Neujahrsfest zwischen dem 20. und 28. Januar 2023. Unter anderem beglückte die B-919A von Shanghai aus die Airports der Städte Peking, Chengdu, Xian, Haikou und Nanchang mehrfach mit Besuchen. "Nach dem 100-stündigen Validierungsflug wird die chinesische Zivilluftfahrtbehörde eine Verifizierung und Prüfung [für die C919] vornehmen und feststellen, ob China Eastern Airlines die Kapazität hat, den Betrieb der C919 zu unterstützen", kommentierte Wu Jinjun, Mitglied im Management von China Eastern. Noch in diesem Frühjahr, so heißt es von offizieller Stelle, soll die B-919A dann in den kommerziellen Betrieb gehen.

150 C919 pro Jahr
Die Pläne, die Comac für die C919 in der Folgezeit geschmiedet hat, sind ehrgeizig: Im Rahmen der Regierungsinitiative "Made in China 2025" sollen selbst entwickelte Flugzeuge bis Ende 2025 in China einen Marktanteil von zehn Prozent erobern. Da Comac aktuell außer der C919 nur noch den technisch schon angestaubten Entwurf ARJ21 in petto hat, fällt der C919 eine Schlüsselrolle zu. Comac will deshalb die Produktionsrate des neuen Flugzeugs schrittweise erhöhen. Erklärtes Ziel ist ein Ausstoß von 150 C919 pro Jahr ab 2028. Damit läge man natürlich weit hinter den Zahlen von Airbus und Boeing – schließlich plant etwa Airbus, ab 2025 dieselbe Anzahl neuer A320neo alle zwei Monate auf den Markt zu werfen. Dennoch ließe sich damit der heimische Markt einigermaßen bedienen, wenngleich Comac-Vizechef Zhang Yujin Ende Januar angab, dass inzwischen mehr als 1.200 Orders für die C919 eingetrudelt seien – was bei 150 Jets pro Jahr bereits jetzt für viele Kunden saftige Wartezeiten mit sich brächte.

Abhängig vom Westen
Die begrenzte Fertigungskapazität ist möglicherweise aber nicht das einzige Nadelöhr, durch das sich die C919 auf ihrem Weg zum erfolgreichen Airliner zwängen muss. Angesichts wachsender internationaler Spannungen auf politischer Ebene – insbesondere zwischen China und den USA – schwebt auch das Schreckgespenst der Sanktionen über dem Projekt. Denn auch wenn die C919 formal als chinesisches Eigengewächs gilt, besteht sie doch zu einem guten Teil aus Komponenten westlicher Zulieferer. An erster Stelle stehen hier Unternehmen aus den USA: In der C919 findet sich Avionik von Rockwell Collins, ein Fahrwerk, eine APU und Bordelektrik von Honeywell, Flugsteuerungs- und Kraftstoffsystem von Parker Aerospace sowie LEAP-1C-Turbofans von CFM International – einem Joint Venture von GE und dem französischen Triebwerkshersteller Safran. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Comac auf der "schwarzen Liste"
Die Gefahr, dass plötzlich einzelne, oder gar (fast) alle diese Komponenten plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen, ist durchaus real. Schon Donald Trump ließ Comac, kurz bevor er Anfang 2021 sein Amt als US-Präsident räumte, auf eine "schwarze Liste" setzen. Comac gilt seither als "mit dem chinesischen Militär verbunden". Geschäfte mit solchen Unternehmen bedürfen einer besonderen Prüfung. Andererseits ist die Bedeutung von China als Handelspartner der USA und anderer westlicher Nationen deutlich mächtiger und sind die wechselseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen ungleich dichter, als es etwa bei Russland der Fall war, das seit seinem Einmarsch in die Ukraine vom Westen ebenfalls mit massiven Sanktionen bedacht wurde. Insofern scheint das Risiko für die Chinesen eher kalkulierbar – wenngleich es auch dafür keine Garantie gibt.
Bei Comac ist diese Problematik durchaus ein Thema – und man versucht, entsprechend gegenzusteuern und den Anteil inländischer Komponenten zu erhöhen. So entwickelt etwa der staatliche Triebwerkshersteller AECC mit dem CJ-1000A schon seit längerer Zeit einen hauseigenen Turbofan, der bei der C919 einmal die LEAP-1C ersetzen könnte. Bis das klappen kann, haben die verantwortlichen Ingenieure aber noch mehrere Jahre Entwicklungsarbeit vor sich, wie man selbst in China unumwunden zugibt. Vor 2030 wird der einheimische Antrieb wohl kaum verfügbar sein.
Bleibt also für alle Beteiligten zu hoffen, dass sich das Jahr des Hasen, wider Erwarten, tatsächlich als ein Jahr des Friedens, des Wohlstands und der Hoffnung entpuppt.