Der Ryanair-Flug 4978 kam am Sonntag aus Athen und wollte nach Vilnius fliegen. Kurz vor der Landung am Ziel, bereits im Sinkflug, wurde die polnisch als SP-RSM registrierte Boeing 737-800 jedoch, noch im weißrussischen Luftraum befindlich, von der dortigen Flugsicherung streng zur Umkehr und Landung in Minsk aufgefordert, weil es eine Bombendrohung gebe. Diese sei angeblich durch die Hamas ausgesprochen worden und beim Flughafen Minsk eingegangen. Das Flugzeug wurde bei der erzwungenen Landung von einer weißrussischen MiG-29 begleitet, die mit zwei R27- und vier R73/74-Raketen scharf bewaffnet zu sein schien.
Die Landung sei auf direkte Anweisung von Weißrusslands Präsident Alexander Lukashenko erfolgt, meldeten weißrussische Medien übereinstimmend. Nach der Landung wurden die Passagiere durchsucht, eine Bombe wurde nicht gefunden und das Flugzeug durfte wieder starten. Allerdings wurden zwei mitreisende Passagiere festgenommen, der in Litauen wohnende, oppositionelle Blogger Roman Protasevich und dessen Freundin. Protasevich droht in Weißrussland eine hohe Haftstrafe.
Ebenfalls nicht mehr an Bord gingen mehrere Passagiere, die angeblich einem weißrusisschen Geheimdienstkommando angehörten. Ryanair-Vorstandschef Michael O'Leary sagte, er vermute, dass auch einige Agenten am Flughafen ausgestiegen seien. Es handele sich um einen Fall von staatlich unterstützter Entführung und Piraterie. In Athen waren 126 Passagiere an Bord gegangen Am endgültigen Zielort kamen, exklusive der Verhafteten und Geheimdienstler, nur noch 121 an.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Montag bei einem EU-Gipfel in Brüssel, das Vorgehen der weißrussischen Behörden sei "beispiellos" und es handele sich um eine erzwungene Landung. Alle anderen Erläuterungen für diese Landung des Ryanair-Flugzeuges seien "vollkommen unglaubwürdig", so die Bundeskanzlerin. Sie fordere die Freilassung des Bloggers und von dessen Freundin.
Die EU verhängte wegen der Affäre Sanktionen gegen Weißrussland. Geplante EU-Investitionen in Höhe von drei Milliarden Euro wurden gestoppt. Außerdem darf die staatliche, weißrussische Fluggesellschaft Belavia nicht mehr in der EU landen und auch deren Luftraum nicht mehr durchfliegen. EU-Fluggesellschaften werden aufgefordert, den weißrussischen Luftraum nicht mehr zu durchfliegen.
Am Montag war Lufthansa-Flug LH 1487 in Minsk kurz vor dem Start nach Frankfurt wegen einer angeblichen Bombendrohung ergebnislos durchsucht worden. Alle Passagiere mussten noch einmal aussteigen. Die deutsche Airline setzt ihre Weißrussland-Flüge seitdem vorläufig aus.
Weißrussland stellt den Ablauf der Ereignisse im Rückblick mittlerweile deutlich anders dar: Demnach habe das Flugzeug von sich aus um Hilfe ersucht. Der Leiter der Abteilung für zivile Luftfahrt im Verkehrsministerium Weißrusslands, Artyom Sikorsky, sagte der weißrussischen Nachrichtenagentur BelTA, gemäß der Flugfunkaufzeichnung hätten die Fluglotsen keinen Druck auf die Cockpitbesatzung ausgebübt. Die Crew habe sich von alleine zur Landung in Minsk entschieden. Allerdings befand sich das Flugzeug schon kurz vor seinem Zielort und legte zu der Ausweichlandung etwa die dreifache Flugstrecke zurück, die es bis Vilnius noch gebraucht hätte.