Maschinen, die große Rollen mit Draht abspulen und diesen mit einer dünnen Membran umwickeln, Geräte, die mehrere dieser Leitungen "verseilen", also miteinander verzwirbeln, und Anlagen, die ein Draht- oder Plastikgeflecht zur Abschirmung um die Leitungen legen: Bei Gore in Pleinfeld dreht sich im wörtlichen Sinn fast alles um Kabel. Zum Portfolio des Werks gehören auch Antennen und Dichtungen. Gore-Produkte finden sich unter anderem in Airbus-Flugzeugen und -Hubschraubern, in Kampfjets wie der F-35, aber auch in Satelliten und Raumsonden. Die schnell austauschbaren, in Pleinfeld entwickelten Dichtungen in verschiedenen Formen werden unter anderem in Treibstofftanks eingesetzt, High-Speed-Datenkabel sorgen in Passagierflugzeugen für leistungsfähige Bordunterhaltung. Und sogenannte Leaky-Feeder-Antennen, abgeschirmte Kabel mit Fenstern, bringen das Internet an Bord gezielt zu den Passagieren und halten die elektromagnetische Strahlung gering. Bekannte Raumfahrt-Beispiele sind Datenleitungen, Stromkabel sowie Mikrowellen-/Hochfrequenzkabelbaugruppen auf den Galileo-Navigationssatelliten, den Sentinel-Satelliten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus und dem James-Webb-Weltraumteleskop der amerikanischen, europäischen und kanadischen Raumfahrtbehörden NASA, ESA und CSA. "Bis zu 25 Kilometer Kabel sind auf einem Satelliten verlegt", sagt Nicole Kaika, die bei Gore in Pleinfeld für die Qualität zuständig ist.

Im James-Webb-Teleskop stecken wie auch in Galileo-Satelliten Kabel von Gore aus Pleinfeld.
Wachsender Markt
Das US-amerikanische Unternehmen W. L. Gore & Associates hat den Standort in Mittelfranken 1981 gegründet, heute sind hier rund 480 Mitarbeiter beschäftigt. "Die Kabelfertigung war zuvor in Putzbrunn", erklärt der Pleinfelder Werksleiter Pascal Wucher. Doch der Fachkräftemangel rund um München in den 1970er Jahren hat dazu geführt, dass man sich um- orientierte und an der Fränkischen Seenplatte fündig wurde. Und das Geschäft läuft so gut, dass ein Neubau nötig ist, um die Produktion zu entzerren und für die Zukunft aufzustellen. Das 5000 Quadratmeter große Erweiterungsgebäude soll noch dieses Jahr bezogen werden. "Durch Digitalisierung und Elektrifizierung wächst der Markt", sagt Wucher. Neben Zivilluftfahrt, Verteidigung und Raumfahrt fertigt Gore in Pleinfeld zudem Kabel für die Halbleiterherstellung. "Semicon ist der größere Bereich, aber die Produkte für Luft- und Raumfahrt sind nicht weniger wichtig", sagt Wucher. Gore bezeichnet seine Mitarbeiter als "Associates" – was man als Partner oder Teilhaber übersetzen kann. Denn das Unternehmen ist immer noch in Familienbesitz und beteiligt seine Mitarbeiter über Aktien am Unternehmenserfolg. Das fördere das Tüftler- und Unternehmertum, so die Idee. Neben Pleinfeld hat Gore in Deutschland noch Standorte in Putzbrunn, Feldkirchen-Westerham und Burgkirchen, die allerdings Produkte für andere Branchen herstellen. In der Luft- und Raumfahrt tätig ist noch ein Werk im schottischen Dundee.

In Pleinfeld beschäftigt Gore rund 480 Mitarbeiter, die als „Associates“ bezeichnet werden.
Kunststoffe als Basis
Wie bei dem wohl bekanntesten Produkt des Unternehmens, der wind- und wasserdichten sowie atmungsaktiven Membran GORE-TEX für Funktionskleidung, liegt auch bei Kabeln und Dichtungen die Magie im Material. Gore setzte zu Beginn auf Polytetrafluorethylen (PTFE), ein Fluorpolymer, das auch unter dem Handelsnamen Teflon von DuPont bekannt ist. Es ist sehr temperaturbeständig, chemisch resistent und kerbfest, was für die extremen Bedingungen in der Luft- und Raumfahrt mit extremen Temperaturen, starken Vibrationen und Kontakten mit Kerosin und anderen Treibstoffen wichtig ist. Bob Gore, der älteste Sohn der Firmengründer Bill und Vieve Gore, entdeckte 1969 mehr oder weniger durch Zufall, dass sich PTFE expandieren, also dehnen lässt. Dieses sogenannte ePTFE hat eine höhere Zugfestigkeit bei gleichzeitig geringerer Dichte als das Ausgangsmaterial. Da es zu einem Großteil aus Luft besteht, ist es leicht und hat eine hohe Insolationsfestigkeit. Zudem ist das Material weich und biegbar. Die Materialwissenschaftler von Gore designen heute ePTFE je nach Anwendung und passen beispielsweise die Dichte und Porosität an.
Die auf verschiedene Breiten zugeschnittenen Bänder aus ePTFE, auch Tapes genannt, werden in den USA hergestellt und sind für fast alle Kabel der Ausgangspunkt. Der Kabelkern, meist aus Silber oder Kupfer, wird mit den Tapes umwickelt und damit isoliert. Über die Jahre wurden diese Tapes immer dünner – bei gleichbleibenden oder sogar verbesserten Eigenschaften. Hochspannungskabel (25 kV) oder High-Speed-Datenleitungen (10 Gbit/s) für die Raumfahrt sind dank ePTFE nur etwa drei Millimeter dick und dabei flexibel, also auch für enge Biegeradien geeignet. Neben ePTFE-Tapes können zur Isolierung auch andere Materialien wie Polyurethan oder Polyimid zum Einsatz kommen. Zudem können Kabel mit Folien oder einem Metallgeflecht zur Abschirmung vor hohen oder niedrigen Frequenzen, Lehrrohren oder sogar Kühlschläuchen versehen werden, je nach Anwendung. Auch die Kabelform kann an Kundenwünsche angepasst werden, vom flachen Bandkabel bis zum Rundkabel. Ein Thema, das Gore derzeit beschäftigt, sind die sogenannten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), die wegen ihrer extrem langen Beständigkeit auch Ewigkeitschemikalien genannt werden und deshalb in der EU verboten werden sollen. Dabei geht es nach Angaben des Bundesumweltministeriums um mehr als 10 000 verschiedene Stoffe, von denen auch einige in den Kabeln von Gore stecken. "Wir arbeiten an Alternativen. Aber für die harschen Bedingungen in der Luft- und Raumfahrt gibt es bisher keinen Ersatz", sagt Kaika. PFAS sorgen bei Kabeln nicht nur für Widerstandsfähigkeit in Temperaturbereichen von minus 200 bis plus 200 Grad Celsius, sondern auch für Resistenz gegen Lichtbogenüberschlag und – wichtig in der Raumfahrt – Beständigkeit gegenüber atomarem Sauerstoff.

Alle fertigen Kabel werden einem Stresstest unterzogen.
Höhere Datenraten, Ströme, Spannungen
In einem eigenen Elektrolabor werden die Kabel getestet. Für Raumfahrtkabel gilt beispielsweise, dass einmal die Grundqualifikation gemäß der Europäischen Raumfahrtagentur ESA oder ihres US-amerikanischen Pendants NASA durchgeführt wird. Alle zwei Jahre werden die Tests wiederholt, um die Qualifikation zu bestätigen. In Pleinfeld gibt es dafür eine Klimakammer, die die extremen Temperaturen im Weltraum simuliert, und eine EMV-Kammer, in der die elektromagnetische Verträglichkeit untersucht wird. Auch Zug- und Schnitttests gehören zum Programm. "Nur Strahlungs- und Chemietests, beispielsweise mit Treibstoffen, werden extern durchgeführt", sagt Kaika. Im Lauf der Jahre ist durch die ganzen Tests eine umfangreiche Datenbank mit Materialeigenschaften und Spezifikationen entstanden – ein wichtiger Schatz für die Konfektion von Kabeln für neue Anwendungen. Die Entwicklung von Kabeln für die Luft- und Raumfahrt wird künftig in Richtung noch höherer Datenraten gehen, prophezeit Kaika, unter anderem dank der Nutzung von Glas-fasern. "Die sind aber sehr empfindlich", fügt sie hinzu. Gerade bei den großen Temperaturunterschieden dehnen sie sich anders aus als die sie umgebenden Materialien. Bei Wissenschaftsmissionen in der Raumfahrt kommen Glasfaserkabel bereits vereinzelt zum Einsatz. In Zukunft werden aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung von Satelliten und Luftfahrzeugen auch Hochstrom- und Hochspannungsanwendungen zunehmen. Dem Unternehmen W. L. Gore & Associates werden also auch 60 Jahre nach der Gründung die Ideen für neue Kabel nicht so schnell ausgehen.