Daniel Wiegand (39) hat Lilium 2015 zusammen mit Sebastian Born, Patrick Nathen und Matthias Meiner gegründet. Der Luft- und Raumfahrtingenieur ist seit 2022 Chefingenieur für Innovation und Zukunftsprogramme und war zuvor CEO des Elektroflugzeugherstellers aus München. Im Interview spricht er über die finanzielle Situation seines Unternehmens und die ausstehende Kreditbürgschaft des Bundes – und zieht Parallelen zu Airbus.

Daniel Wiegand
Das begann schon als kleines Kind. Ich hatte als Haustiere Vögel, ich habe Modellflugzeuge gebaut. Mit 14 habe ich den Segelflugschein angefangen und auch mit 14 meinen ersten Alleinflug in einem Segelflugzeug absolviert. Ich habe auch an "Jugend forscht" teilgenommen, um Flugzeuge effizienter zu machen. Diese Passion fürs Fliegen und die Technik hatte ich schon immer. Das Fliegen habe ich mir als Kind sehr intuitiv angeeignet und erst später als Luft- und Raumfahrt-Ingenieur an der Uni die ganze harte Theorie dahinter gelernt.
Ich wollte immer was fürs Klima tun mit meinem Ingenieurswissen. Eines Abends habe ich mir Videos auf Youtube angeguckt, von Militärflugzeugen, die senkrecht starten konnten. Damals habe ich mir gedacht: Mensch, wenn du das elektrisch machen würdest für den zivilen Sektor, dann wäre das viel leiser als Helikopter. Und es würde Hochgeschwindigkeitsanbindungen zwischen vielen Städten ermöglichen, zwischen denen es keine Autobahnen, keine ICE-Strecken gibt. Und das Ganze wäre umweltfreundlich, für jedermann zugänglich und damit ein perfektes Verkehrsmittel als Ergänzung zu dem, was wir schon haben. Damals, als Student, habe ich rumgerechnet, ob das überhaupt möglich ist. Die Batterietechnologie war noch nicht so gut wie heute. Wir haben uns gesagt, wenn wir fünf Jahre nach vorne denken, dann sind die Batterien da und wenn wir zehn Jahre nach vorne denken, sind sie mehr als gut genug, um sowas zu machen. Das war die Grundlage, auf der wir das Unternehmen 2015 gegründet haben.
Das ist eigentlich nur eine Timing-Frage. Der jetzige Flieger kann 250 Kilometer weit fliegen, aber man muss Reserven davon abziehen. Wir haben eine Batterie-Roadmap mit unseren Zulieferern, die es uns ermöglichen wird, durch Upgrades von den Batterie-Packs um 2030 ungefähr die 300 Kilometer operativ zu schaffen. Wir hatten erwartet, dass das bereits 2027 der Fall wäre. Dass es später wird, liegt in den Zulassungsanforderungen. Wir sind ursprünglich davon ausgegangen, dass wir ein Kleinflugzeug zulassen. Später ist es dann im Prinzip der Standard von einem kommerziellen Airliner geworden, was in diesen SC-VTOL-Regularien drinsteht. Das ist auch sinnvoll. Aber die nötige Redundanz – strukturell, Kontrollcomputer, zehn redundante Batterie-Packs etc. – steigert das Gewicht und kostet am Ende ein bisschen Flugleistung.
Ein Jet ist so definiert, dass ich einen Strahl habe, der aus einer Düse rauskommt. Und bei allen Strahltriebwerken entsteht der Druck für diesen Strahl durch einen Axialkompressor. Das ist bei uns exakt das gleiche. Wir haben auch eine Düse, aus der ein Strahl rauskommt. Vorne sitzt ein Axialkompressor. Der einzige Unterschied ist, dass der Kompressor durch einen elektrischen Motor angetrieben wird. Das macht ihn eben zu einem elektrischen Jet-Antrieb.
Modellfliegerei bringt nicht viel. Aber wir sind seit fünf Jahren Flugzeuge mit 1,5 Tonnen Gewicht geflogen. Das sind keine Modellflugzeuge, sondern sie repräsentieren die gleichen Lastfaktoren etc. wie wir sie im finalen Flugzeug haben. Das sind Demonstratoren, mithilfe derer wir die gesamte Technologie entwickelt haben: Steuersoftware, Flugphysik, Batterietechnologie, Sicherheitstechnologie, wie man Systemausfälle in verschiedenen Flugphasen handhabt, die gesamte Flugerprobung. Gerade haben wir in München in unserer Fertigungslinie die ersten zwei der finalen Zulassungsflugzeuge in der Produktion. Die werden ab Anfang nächsten Jahres in die Zulassungskampagne gehen, mit dem zweiten werden wir unseren bemannten Erstflug absolvieren.
Es gibt zwei Firmen in Deutschland, die elektrische, senkrechtstartende und -landende Fluggeräte entwickeln: Volocopter und Lilium. Und diese zwei deutschen Firmen sind global die einzigen, die noch nicht hunderte Millionen an staatlicher Unterstützung erhalten haben. Es gibt keinen erfolgreichen Flugzeughersteller auf der Welt, der ohne staatlichen Support ausgekommen ist. Unsere Investoren wollen die Unterstützung von Deutschland und Europa sehen, bevor sie weiteres Kapital reinstecken, weil sie nicht glauben, dass das Unternehmen es in so einem verzerrten Wettbewerbsumfeld schaffen wird. Das führt eben auch dazu, dass neue Investoren ihr Geld lieber in den US-Wettbewerber stecken. Unser Gedankengang ist nicht, dass der Staat das restliche Programm finanzieren müsste, sondern es geht um ein Signal an den Markt, dass der deutsche Staat hinter dieser Technologie steht.
Es geht um einen 100-Millionen-Euro-Kredit der KfW und eine Bürgschaft, die zu gleichen Teilen von Bayern und der Bundesrepublik käme. Bayern hat bereits seine Zusage für diese Kreditbürgschaft gegeben. Was jetzt noch aussteht, ist die Zusage für die Kreditbürgschaft des Bundes, ganz spezifisch des Haushaltsausschusses des Bundestages. Das ist der letzte Schritt und sobald dieses Geld fließt, würden auch die privaten Investoren in der gleichen Größenordnung noch mal investieren.
Dann wird es das Unternehmen, so wie jetzt, in Deutschland nicht mehr geben. Es gibt andere Staaten, die gerne die Technologie in ihrem Land hätten. In Deutschland haben wir seit fast zwei Jahren um diesen Kredit gekämpft. Das hat ein riesigen Managementaufwand gekostet und wir haben immer noch keine Zusage. In Frankreich haben wir ungefähr drei Monate nach den ersten Gesprächen die politische Zusage gehabt. Die USA sind noch wirtschaftsfreundlicher, dort gibt es bestehende Programme, in die man als Unternehmen reingehen kann und entsprechende Förderung bekommt.
Wir haben in den letzten 20, 30 Jahren kein einziges großes Technologieunternehmen mehr geschaffen. Einer der Gründe dafür ist, dass wir nicht in der Lage sind, diesen Finanzierungsschritt aus der Grundlagenforschung und Venture-Forschung hinaus in große Unternehmen zu finanzieren. Wir müssen etwas tun in Deutschland, um strategische Industrien hier aufzubauen. Wir müssen alles, was wir haben, in die Waagschale werfen – vom Know-how in der Grundlagenforschung über die Talente, die Ingenieure, die wir haben bis hin zu einer staatlichen Industriepolitik. Dann sind wir in der Lage, weltweite Gewinner zu schaffen. Das beste Beispiel ist Airbus. Das Unternehmen hat Milliardenkredite bekommen von Paris, von Berlin, von Spanien, England, ohne die hätte es nicht überlebt. Heute ist Airbus der weltweit führende kommerzielle Flugzeughersteller.
Wir sind kein Hersteller von Lufttaxis, das wird in der Presse regelmäßig falsch beschrieben. Unser Flugzeug wurde designt, um ein kommerzielles, regionales Shuttleflugzeug zu sein. Das zeigt schon der Sicherheitsstandard, nach dem es zugelassen wird. Unser Ziel ist es, einer der weltweit führenden Elektroflugzeughersteller zu werden. Wir haben jetzt zusammen mit dem DLR [Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt; d. Red.] ein Projekt beantragt für die Vorentwicklung eines regionalen Airliners mit ungefähr 80 Passagieren, maximal 100. Das Ziel dieses Flugzeugs ist, in ungefähr zehn Jahren 1000 Kilometer und in 20 Jahren 2000 Kilometer batterieelektrisch zu fliegen. Das basiert auf der Annahme, dass sich die Batterien weiterhin verbessern. Mit einem solchen elektrischen Airliner mit Druckkabine könnte man mit 2000 Kilometern Reichweite ungefähr 80 Prozent aller Flüge weltweit ersetzen, die heute in der kommerziellen Luftfahrt stattfinden. Das hätte einen riesigen Klimaeffekt, das wäre eine riesige Industrie und Lilium könnte in Deutschland die Technologieführerschaft dafür haben. Wir servieren der deutschen Politik auf dem Silbertablett so ein Unternehmen, um das sich andere Länder reißen würden. Und Deutschland tut sich jetzt schwer, vorneweg die grüne Partei, eine 50-Millionen-Euro-Bürgschaft zu übernehmen.
Wir haben momentan 106 bindende Vorbestellung, das ist ein Auftragsvolumen von ungefähr einer Milliarde Dollar. Nach unseren Recherchen gab es bisher kein Flugzeug, das vor dem Erstflug der kommerziellen Zulassung schon über 100 Vorbestellungen hatte. Wir haben noch mal sechs Milliarden Dollar von nichtbindenden Vorbestellungen. In den Verträgen haben wir sogenannte Pre-Delivery Payments [Kundenanzahlung; d. Red.], die sind üblich in der Luftfahrt. Bei Airbus sind das 50, 60 Prozent des Flugzeugpreises. Wir gehen momentan konservativ eher von 30 Prozent aus. Das ist ein essenzieller Baustein der Finanzierung der nächsten zwei Jahre.
Es ist relativ gleichmäßig verteilt nach Wirtschaftskraft. Wir sehen rund 30 Prozent in den USA, 25 bis 30 Prozent in Europa und noch mal rund 30 Prozent in Asien, mit einem Schwerpunkt in China. Wie sich unser Marktanteil in den verschiedenen Weltregionen entwickelt, das ist schwerer vorherzusagen. Unser Marktanteil in Europa wird sicher höher sein als in China.
Ich würde es nicht in Deutschland machen. Als wir gegründet haben, haben uns Startup-Beratungen gesagt, macht es im Silicon Valley. Wir waren damals sehr patriotisch und auch sehr stur. Wir wollten beweisen, dass wir das in Deutschland können, dass wir das Know-how haben, dass wir Unternehmergeist haben. Und dass wir auch genug Geld haben, so etwas zu finanzieren in Europa und in Deutschland. Bisher haben wir innerhalb dieses Lilium-Projekts aber eher aufgezeigt, wo die ganzen Probleme liegen in Deutschland, wenn man ein Deep-Tech-Unternehmen aufbauen will. Sie finden die gleichen Probleme bei den Startups im Raketenbau, in der Kernfusion, in der Robotik. Wir haben als Land eine riesige Chance, uns in diesen neuen Feldern Technologieführerschaft zu erkämpfen, aber wir sind uns nicht klar darüber, dass wir sie erkämpfen müssen.