Von der Flugsteuerung bis zu den Passagiersitzen, von Tragflächen und Triebwerken bis hin zur Hydraulik: Die Jakowlew MS-21-310 mit der Bordnummer 73057 besitzt – so heißt es von ihrem Hersteller – "vollständig" russische Komponenten. Selbst die aktiven Sidesticks von der US-Firma Collins Aerospace – eine Weltpremiere in der kommerziellen Passagierluftfahrt – will man durch funktionsgleiche russische Pendants ersetzt haben. Gleiches gilt für die gesamte Avionik.
"Wichtige Systeme wurden durch einheimische ersetzt, darunter das komplexe Steuerungssystem, das alle Antriebsmechanismen der Höhen- und Seitenruder umfasst", schreibt die russische Flugzeugbau-Holding UAC nicht ohne Stolz. Auch das gesamte Energieversorgungssystem habe man getauscht. "Das Fahrwerk, die Räder, die Reifen, die Kraftstoffstandsensoren und viele andere Komponenten wurden ebenfalls ersetzt." Dazu besitzt die 73057 jetzt russische PD-14-Turbofans anstelle der ursprünglich verbauten US-Getriebefans von Pratt & Whitney, sowie eine russische Hilfsgasturbine (APU). "Außerdem ist dieses Flugzeug das erste seiner Art, in dem die Innenausstattung aus heimischer Produktion vorinstalliert wurde", so UAC weiter.

Ein Testingenieur im Cockpit der MS-21-310rus: Avionik, Computer und Flugsteuerung sind jetzt vollständig russisch - auch die aktiven Sidesticks, so heißt es.
"Russifizierung" vollendet
Die große "Russifizierung" der einst international angelegten Jakowlew MS-21 scheint damit, zumindest im Prototypen-Stadium, weitestgehend abgeschlossen. Mehr als 60 Komponenten mussten die Russen dafür austauschen. Derzeit laufen laut UAC im Endmontagewerk Irkutsk die letzten Abnahmetests für diese neu verbauten Komponenten. Als Nächstes wird die MS-21-310rus plangemäß an die Flugtestabteilung übergeben, die das komplett auf links gedrehte Flugzeug dann möglichst noch vor Ende dieses Sommers in die Luft bringen soll. Zusammen mit einer teilweise russifizierten Schwestermaschine, die Ende April dieses Jahres erstmals in neuer Konfiguration abhob, hat die 73057 schließlich den Auftrag, die importsubstituierte MS-21rus im Rahmen einer intensiven Flugerprobung möglichst rasch zur Serienreife zu bringen.
Die Geschichte der 73057
Ein komplett neues Flugzeug ist die in den Startlöchern stehende Maschine nicht. Ihren eigentlichen Erstflug feierte sie im Dezember 2021, seinerzeit als erste MS-21 mit vollständig aus russischem Verbundmaterial gefertigten Kohlefaserflügel. Seinerzeit als RA-73061 registriert, sollte sie laut ursprünglicher Planung zusammen mit fünf weiteren MS-21 zur ersten Riege von Serienflugzeugen gehören, deren Auslieferung an die Aeroflot-Tochter Rossija vorgesehen war. Für alle sechs Jets war damals noch das Pratt & Whitney PW1400G vorgesehen gewesen.
Mit den im Frühjahr 2022 vom Westen massiv verschärften Sanktionen gegen Russland war die Zusammenarbeit mit westlichen Zulieferern jedoch nicht mehr möglich. In der Folge konzentrierte sich Russland – notgedrungen – auf eine vollständig mit russischen Systemen und Bauteilen gefertigte Version seines modernsten Passagierflugzeugs. Die ehrgeizigen Zeitpläne, die man von staatlicher Seite für diese Entwicklung vorgab, hielten der Realität erwartungsgemäß nicht einmal annähernd Stand. Dennoch scheinen die Russen ihr Leuchtturmprojekt im zivilen Flugzeugbau langsam aber sicher in die Spur zu bringen.

Das Awiadwigatel PD-14 hat bei der Testmaschine 73057 die ursprünglichen Pratt & Whitney-Getriebefans ersetzt.
Vieles bleibt noch offen
Viele Fragen harren derzeit aber weiter der Beantwortung. So muss Hersteller UAC für den angestrebten Serienbau die notwendigen Kapazitäten schaffen, die mittelfristig einen Ausstoß von xx Flugzeugen jährlich garantieren sollen. Dazu zählt nicht nur die effiziente Endmontage in Irkutsk, sondern vor allem ein breites, belastbares Netz von Zulieferern, die die für die MS-21 neu entwickelten Komponenten nicht nur in Prototypenstückzahl, sondern tatsächlich in Serie herstellen müssen. Hierfür musste oder muss die Lieferkette in weiten Teilen erst geschaffen werden.
MS-21 mit Übergewicht?
Zu guter Letzt bleibt außerdem zu klären, inwieweit die Umstellung auf einheimische Teile die DNA des Flugzeugs selbst verändert hat. So kursierten in der Vergangenheit Gerüchte, dass die neue MS-21rus gegenüber dem Ausgangsmodell etwa 5,7 Tonnen Übergewicht aufweisen soll, was zu signifikanten Abstrichen bei den Flugleistungen führe. Diese Spekulationen wurden bislang weder bestätigt noch widerlegt – die anstehende Flugerprobung der MS-21 73057 dürfte – auch für Außenstehende – erste konkrete Anhaltspunkte dazu liefern. Der Abschluss der Zertifizierung ist derzeit für Ende Sommer 2026 geplant.