Dass Wunsch und Wirklichkeit für Russlands Luftfahrtindustrie eher selten deckungsgleich sind, ist kein Geheimnis – weder in Russland selbst noch anderswo. Das galt schon vor 2022, nur besitzt das Problem seit Russlands Angriff auf die Ukraine, wegen der daraufhin verhängten Sanktionen des Westens, eine neue Relevanz. Denn seither lassen sich Verfehlungen und überdehnte Zeitpläne bei heimischen Projekten nicht mehr ohne Weiteres kaschieren. Früher hatten die Airlines Airbus und Boeing als Ausweg, jetzt stehen sie vor den Werkstoren der russischen Flugzeugbauer – und drängen auf neue Maschinen.

Der russifizierte Superjet soll russische PD-8-Triebwerke erhalten. Doch damit abgehoben ist er noch immer nicht.
Es hakt an allen Orten
Die aber werden die Carrier im größten Land der Welt vorerst nicht bekommen, auch wenn die Politik ihnen schon im Sommer 2022 anderes versprochen hat. Über 1.000 neue Airliner aus einheimischer Fertigung, so der offizielle Plan von damals, sollen bis Ende 2030 in Dienst gehen. Dass das von Anfang an sehr ambitioniert war, steht außer Frage. Gut anderthalb Jahre später aber muss man konstatieren: Der Plan ist längst von der Realität überrollt worden, denn kein einziges Projekt liegt auch nur annähernd im Soll.
- Der russifizierte Superjet fliegt noch immer nicht mit russischen Triebwerken, dabei sollten 2023 drei und 2024 sogar 20 Exemplare an die Airlines gehen. Kein einziges wurde bislang ausgeliefert. Und die russischen Sitze des Regionaljets haben wiederholt im Crashtest versagt, sind nach wie vor nicht zertifiziert.
- Die neu aufgelegte Tupolew Tu-214 kommt nicht in Schwung, weil das Werk in Kasan erst modernisiert und neues Personal angeworben werden muss. Drei Tu-214 waren für 2023 zur Lieferung vorgesehen. Keine einzige rollte wirklich aus dem Werk. Dass sich das im laufenden Jahr ändert, dafür gibt es wenig Anzeichen. Die für 2024 angesetzten zehn Tu-214 (inklusive der drei aus 2023) scheinen jedenfalls utopisch.
- Der Regional-Turboprop Iljuschin Il-114-300 darf noch immer nicht wieder fliegen, weil seine Triebwerke erst einer grundlegenden Modifikation bedürfen. Zwei Flugzeuge stehen 2024 zur Auslieferung im Plan. Insgesamt sollen sechs Il-114-300 im Bau sein. Aber wann die Flugerprobung weitergeht, ist nach wie vor nicht absehbar.

Die MS-21-310rus ist das modernste Flugzeugprojekt Russlands - aber auch sie kommt nicht recht vom Fleck.
Kommt die MS-21 erst 2026?
Zu allem Überfluss kommt auch die Jakowlew MS-21rus, Russlands Vorzeigeflugzeug schlechthin, nicht recht auf die Beine. Sechs Exemplare der MS-21-Version mit rein russischen Komponenten standen für 2024 zur Auslieferung an. Diese Vorgabe aber musste Sergei Tschemesow, Chef des Staatskonzerns Rostec, gegenüber Journalisten nun offiziell kassieren. 2024 werde man definitiv keine MS-21 übergeben, so Tschemesow laut einem Bericht der Agentur Interfax. Stattdessen plane man, die sechs Flugzeuge 2025 auszuliefern, "vielleicht aber auch erst 2026." Das hänge vom Verlauf der Tests ab, die noch nicht abgeschlossen seien.
Warten auf "Russifizierung"
Genaugenommen war bis dato noch überhaupt keine MS-21 ohne westliche Bauteile in der Luft. Zwei Prototypen werden in Irkutsk gerade auf den rus-Standard umgerüstet, aber ob es tatsächlich für alle Komponenten aus dem Westen russische Pendants gibt, ist unklar. Das gilt besonders für komplexe technische Systeme wie die aktiven Sidesticks von Collins Aerospace, die für die urpsprüngliche MS-21 als Standard vorgesehen waren. Insgesamt sollen in Irkutsk zwölf halbfertige MS-21 auf russifizierte Komponenten warten. "Wir möchten sie so schnell wie möglich fertigstellen, aber ich kann jetzt nicht sagen, wann das sein wird", gab Rostec-Boss Tschemesow in bemerkenswerter Offenheit zu Protokoll. Schließlich stehe die Sicherheit des neuen Musters kompromisslos an erster Stelle: "Wir alle werden damit fliegen", unterstrich er.
Das mag sein, die Frage, die sich stellt, ist nur: wann?