Projekt Antonow An-180
Der gescheiterte Propfan-Airliner aus der Ukraine

Propfan-Antrieb und Kabine mit Großraum-Gefühl: Mit der An-180 wollte der ukrainische Flugzeugbauer Antonow gleich mehrere Maßstäbe setzen. Doch der Entwurf hatte keine echte Chance.

Der gescheiterte Propfan-Airliner aus der Ukraine
Foto: FR-Archiv

Rückblickend hätte man sich kaum einen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können: Als das Konstruktionsbüro Antonow um 1990 mit der Entwicklung der An-180 begann, war die Sowjetunion bereits in Auflösung begriffen. Kurze Zeit später zerfiel sie gar komplett, und Antonow fand sich in der neuen, nun unabhängigen Republik Ukraine wieder – in einem Land, das sich politisch erst noch finden musste und das wirtschaftlich am Boden lag. Unter diesen Voraussetzungen schien der Entwurf eines neuen Passagierflugzeugs wie der An-180 fast aberwitzig – zumal dieses Flugzeug ein Antriebskonzept mit sich brachte, das so noch nirgends auf der Welt im kommerziellen Einsatz stand.

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Die An-180 war für Strecken bis 4.500 Kilometer konzipiert und sollte besonders sparsam fliegen. Das Kabinen-Layout sah zwei Gänge und Sitzreihen in 2-2-2-Anordnung vor.

Ein Sparwunder als Erbe der Tu-154

Doch der Reihe nach. Mit der An-180 wollte Antonow ein Flugzeug für die Mittelstrecke schaffen, das im Linienbetrieb einmal die Tupolew Tu-154 ablösen sollte. Das dreistrahlige Arbeitspferd hatte Anfang der Neunzigerjahre seinen technischen Zenit längst überschritten, die Regelung der Nachfolge schien durchaus logisch. Antonow arbeitete damals parallel bereits an dem Transporter An-70 – geplant seinerseits als Nachfolger für die ebenfalls alternde An-12. Davon ausgehend, schmiedeten die Ukrainer Pläne für ein Passagierflugzeug, das bei rund 800 km/h Reisegeschwindigkeit zwischen 163 und 175 Fluggäste über Strecken von 4.500 Kilometer transportieren konnte. Als Antrieb sollte – wie bei der An-70 auch – der in Entwicklung stehende Propfan D-27 von Iwtschenko Progress Einzug halten. Mit dem Propfan-Konzept, auch als Unducted Fan oder Open Rotor bezeichnet, wollte Antonow den Kerosinverbrauch der An-180 im Vergleich zur dreistrahligen Tu-154 marginalisieren – bei vergleichbaren Flugleistungen. Als Referenzwert standen super-sparsame 14,5 Gramm Treibstoff pro Passagierkilometer im Lastenheft.

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Ukrainischer Propfan, russische Propeller

Das D-27 besaß zu diesem Zweck zwei hintereinander montierte, sichelförmige Verbundwerkstoff-Propeller, die gegenläufig rotierten. Die Propeller, vorne mit acht und hinten mit sechs Blättern, stammten vom russischen Hersteller Aerosila, ebenso wie das zwischengeschaltete Getriebe. Das D-27 lieferte rund 13.900 PS. Technisch basierte es auf den Erfahrungen, die man noch in der Sowjetunion mit dem Testmotor D-236 gesammelt hatte – wie das D-27 ein Hybrid aus Turboprop und Turbofan, der ein Nebenstromverhältnis von 27:1 besaß und, montiert an einer Jakowlew Jak-42, eine Leistung von knapp 11.000 PS erreichte. Während die An-70 mit vier D-27 ausgestattet wurde, sollte die An-180 zwei Propfans erhalten.

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Die Antonow An-180 in der ersten öffentlich gezeigten Auslegung, mit T-Leitwerk und an Heck-Pylonen hängenden D-27-Propfans. Die Winglets verschwanden später wieder.

"Mini-Widebody"

Die Ursprungsidee für die An-180 bestand darin, den Rumpf der An-70 für die neue Verwendung anzupassen. Ein Kabinen-Layout, wie man es sonst nur aus Großraumjets kennt, war die Folge: Die Passagiere der An-180 sollten nicht nur auf je zwei Sitzen links und rechts am Fenster Platz nehmen, sondern auch auf ebenfalls zwei Sitzen in der Mitte. Auch die Auslegung als Schulterdecker wurde zunächst übernommen. Später emanzipierte sich die An-180 aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zusehends von ihrer ungleichen Schwester. Die Kabine mit zwei Gängen und 2-2-2-Sitzordnung blieb davon jedoch unberührt. Der Entwurf, mit dem Antonow 1991 erstmals an die Öffentlichkeit ging, sah einen Tief- statt einen Schulterdecker vor, mit moderat gepfeilten Tragflächen, rundem Rumpfquerschnitt, T-Leitwerk – und den beiden Propfans am Heck, platziert an wuchtigen Pylonen.

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Der Erstflug der An-180 war für 1995 geplant. 1997 sollte der Serienbau starten. Es kam anders.

Es scheitert am Geld

Ein Jahr später änderte Antonow den Designentwurf erneut. Das "Doppeldecker-Heck" mit dem T-Leitwerk und den Pylonen für die Triebwerke schien den Ingenieuren zu schwer. Deshalb gestalteten sie die ansonsten funktionslosen Propfan-Aufhängungen zu einem konventionellen Höhenleitwerk um, an dessen Enden links und rechts nun die Motoren saßen. Außerdem planten die Ingenieure, ihren Airliner mit Fly-by-Wire Steuerung auszustatten, womit der sonst bei Sowjet-Airlinern obligatorische Flugingenieur entfallen konnte. Als Jahr des Erstfluges war 1995 im Gespräch, im Idealfall hätten die ersten Serienmaschinen schon 1997 an Kunden gehen sollen. Die desolate Finanzlage in der jungen Ukraine machte den Bau eines Prototyps jedoch bis auf Weiteres unmöglich. Es war schlichtweg kein Geld da. Antonow entschied deshalb, die Entwicklungsarbeit an der An-180 zu beenden und den vielversprechenden Entwurf auf Eis zu legen. Dort liegt er bis heute.

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Die große Schwester An-70 hob 1994 immerhin tatsächlich ab. Auf den Serienbau wartete jedoch auch sie vergeblich. Nur zwei Exemplare wurden vollendet, eins davon stürzte 1995 bei einem Testflug ab – Pilotenfehler. Die zweite An-70 fand über jahrelange Umwege den Weg zur ukrainischen Luftwaffe. Ob sie noch fliegt, ist derzeit unklar. Zuletzt sah man sie im August 2021 bei der Luftparade zur Feier der ukrainischen Unabhängigkeit.

Technische Daten

Antonow An-180

Typ:Mittelstrecken-Passagierflugzeug

Status: Projekt, nicht realisiert

Länge: 43 m
Spannweite: 35,6 m
Rumpfdurchmesser: 4,3 m
Flügelfläche: 127 m2

Cockpit-Besatzung: 2 Piloten
Passagiere: 163 (Sitzabstand 810 mm) bzw. 175 (Sitzabstand 750 mm)

Antrieb: zwei Propfan-Motoren Iwtschenko-Progress D-27 mit je 13.880 PS

Leergewicht: 42.500 Kilogramm
Max. Nutzlast: 18.000 Kilogramm
Max. Startgewicht: 71.700 Kilogramm (normal 67,5 Tonnen)

Reisegeschwindigkeit: 800 km/h
Reiseflughöhe: 10.100 m
Startstrecke: 1.950 Meter bei 67,5 Tonnen Startgewicht
Reichweite: 4.500 Kilometer mit 163 Passagieren (max. Reichweite 7.700 Kilometer)

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