Radia WindRunner: Wird das größte Flugzeug der Welt zum Militärfrachter?

Neue Frachterversion des WindRunners
Wird das größte Flugzeug der Welt zum Militärfrachter?

ArtikeldatumVeröffentlicht am 01.11.2025
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"Wir wollen nicht die bestehenden Transportflugzeuglegenden ersetzen, wir wollen sie ergänzen," beschwichtigte Mark Lundstrom, Gründer und Vorstandschef von Radia, Mitte September, als er eine neue Frachterversion seines Vierstrahlers bei der "Air, Space & Cyber Conference" der amerikanischen Air Force Association in National Harbor, Maryland, vorstellte. Neu sind ein jetzt runder Rumpfquerschnitt zum Einbau einer Druckkabine und ein Frachtraumboden.

Rendering Radia WindRunner als Militärfrachter beim Beladen von Kampfflugzeugen
Radia

Neues Konzept: Vielseitigkeit

Damit entwickelt sich der anfangs für eine einzige Aufgabe maßgeschneiderte Spezialtransporter zum frei einsetzbaren Großraumfrachter mit vermutlich deutlich höheren Absatzchancen. "Der WindRunner ist dafür gebaut, komplette Systeme transportieren zu können. Das bedeutet: weitreichende Radaranlagen, Kippflügelflugzeuge, unbemannte Kampfflugzeuge, Feldlazarette und andere komplizierte, übergroße Dinge, die man bei uns nicht erst zerlegen muss, so dass der Betrieb nicht aufgehalten wird. Strategische Beweglichkeit verschafft unseren Streitkräften mehr Zeit", warb der CEO. Selbst modernste Militärtransporter stießen beim immer sperrigeren Ladegut schnell an ihre Raumgrenzen. Das soll der WindRunner ändern. Mit seinem Frachtraumvolumen, das dem von sieben C-5 entspricht oder zwölf C-17, bewältigt der Riese spielerisch bisher ungekannte Frachtmengen: Drei unzerlegte F-16, vier MV-22 Osprey oder gar sechs Chinook-Transporthubschrauber zugleich passen in die über 100 Meter lange Rumpfröhre des Radia-Konzepts. Denn der WindRunner sprengt alle bekannten Maße: 109 Meter Gesamtlänge, 80 Meter Spannweite, 24 Meter Höhe. Nur die maximale Nutzlast liegt mit 72,6 Tonnen im vertrauteren Bereich einer C-17. Als voluminösen Riesenfrachter für 105 Meter lange Paare von Windkraft-Rotorblättern hatte Radia den vierstrahligen Giganten ursprünglich als maßgeschneidertes Transportwerkzeug und nur für die Windkraftbranche konzipiert. Denn nur mit viel größeren und höheren Windkraftanlagen könne man flächendeckend genug Strom ernten, um Windkraft überall ausreichend billig werden zu lassen. Dabei sollte der WindRunner helfen und seine klobige Fracht, die viel zu groß für jeden Straßentransport wäre, direkt zu weit verstreuten Windparks im US-Hinterland fliegen. Für diese Aufgabe wurde der Gigant für Starts und Landungen auf nur 1800 Meter kurzen Startbahnen ausgelegt, die sogar unbefestigt sein dürfen, also etwa aus nur gewalzter Erde bestehen können. Vom ungepfeilten Hochauftriebsflügel über die steinschlagsicher hoch und weit innen angebrachten Triebwerke bis zum betont robusten Fahrwerk mit Doppel-Bugfahrwerk und extrem engem Wendekreis, der ohne Wendehammer auskommt, reichen die besonderen Fähigkeiten des Kohlefaser-Riesen.

Rendering Radia WindRunner als Militärfrachter im Größenvergleich
Radia

Länger als alle anderen

Im Frühjahr 2025 hatte Radia mit dem militärischen US Transportation Command einen Forschungs- und Kooperationsvertrag unterzeichnet, um zu untersuchen, ob der zivile Riesentransporter sich nicht auch für militärische Aufgaben nutzen ließe, darunter die Beförderung von Raketen, Satelliten und humanitärer Fracht. Dabei ging es auch um die Frage, wie man zivil genutzte WindRunner, etwa die aus der Windkraftbranche, in Krisenzeiten bei der amerikanischen Civil Reserve Air Fleet kurzfristig als Verstärkung für das Militär nutzen könnte. Laut Radia eignet sich der WindRunner auch für herkömmliche Fracht auf Paletten, etwa zur Katastrophenhilfe. Bekanntlich bereiten sich die USA stärker auf pazifische Konfliktszenarien vor. Hier ginge es um Materialtransporte über sehr große Distanzen und Landungen auf kleinen Inseln. Letzteres schafft der WindRunner perfekt, Ersteres nur eingeschränkt. Denn weil er für seine Windanlagen-Transporte nur von US-Hafenstädten ins US-Binnenland pendeln sollte und dabei keine großen Entfernungen bewältigen muss, ist die WindRunner-Reichweite mit 2000 Kilometern bei voller Zuladung relativ gering ausgelegt. Würde sie für den Pazifik reichen? Radia will diese Schwäche mit einer neuen Luftbetankungsoption beseitigen. Ein weiterer "Makel": Der WindRunner hat keine Heckklappe. Er wird alleine durch sein Bugtor be- und entladen. Das spart Strukturgewicht, verhindert aber, dass man Lasten im Flug abwerfen kann – eine wichtige Fähigkeit beim Militär. Doch jetzt muss Radia das spektakuläre Flugzeugkonzept erst einmal in die Realität umsetzen. Mit bisher rund 150 Millionen Dollar Wagniskapital, weiteren Mittelzusagen von Geldgebern aus der Energiebranche und mit prominenten Mitarbeitern aus Forschung, Industrie und Behörden, darunter vom MIT, von Boeing und der FAA, hat Radia seine Idee immerhin schon erfolgreich ins Rollen gebracht.

Rendering Radia WindRunner als Militärfrachter bei der Beladung von Chinooks
Radia

Partner bauen alles

Jetzt steht die industrielle Umsetzung an. Dabei soll dem Start-up aus Boulder, Colorado, ein Netzwerk von Partnern helfen, denn Radia will keine eigenen Fabriken betreiben und sogar auf reale Prototypen verzichten, um den WindRunner direkt nach den Zulassungsvorschriften FAR Part. 25 zertifizieren zu lassen. Flügel und Triebwerksaufhängungen soll Aernova aus Spanien zuliefern, die Rümpfe sollen bei Leonardo in Italien gebaut werden, Leitwerke steuert Aciturri aus Spanien bei, das Fahrwerk Magnaghi aus Italien. Akaer Engenharia aus Brasilien entwickelt Strukturen und die Druckkabine, das US-Unternehmen Astronautics Corporation of America aus Wisconsin steuert das Avioniksystem bei. Element Digital Engineering aus Großbritannien übernimmt das Kraftstoffsystem und alle Tests und Zulassungsarbeiten für Flüssigkeiten an Bord und Ingenium Technologies aus Illinois konstruiert die Hochauftriebshilfen. Radia plant, die endgültige Finanzierung zu einem Drittel aus privaten Mitteln und zu zwei Dritteln aus öffentlichen Geldern zu bestreiten, wohl auch vom Militär. Kostendämpfend sollen möglichst schon existierende Technologien genutzt werden, statt neue zu entwickeln. Mit der jetzigen Hinwendung zum Militär könnte Radia sich einen wichtigen Zusatzmarkt erschließen, bevor die USAF ihr nächstes Transportflugzeugprogramm mit dem Arbeitstitel "Next Generation Airlift (NGAL)" startet. Der Leiter des Air Mobility Command der US Air Force, General John Lamontagne, ließ bereits verlauten, er wünsche sich einen gemeinsamen Nachfolger von C-17 und C-5, nicht unbedingt in voller Größe einer Galaxy. Dies könnte dem WindRunner eine Nische im obersten Größenbereich offenhalten. Laut Radia ist Platzmangel schon heute in Transportflugzeugen ein größeres Problem als das Nutzlastgewicht. Im NGAL-Rennen sind unter anderem avantgardistische Nurflügler, die im Vergleich zu heutigen wesentlich bessere Selbstverteidigungseigenschaften aufweisen sollen. Das alles deutet auf eine eher aufwendige NGAL-Entwicklung hin. Radia wirbt damit, man könne schon "zehn Jahre" vor dem eigentlichen NGAL-Militärtransporter auf dem Markt sein. Für das Jahr 2030 hofft Radia auf den Erstflug des WindRunners.

Rendering Radia WindRunner im Anflug
Radia

Deutscher General im Team

Anfang Oktober stellte Radia einen deutschen General ein, der das militärische Team als strategischer Berater verstärkt: Es ist General a. D. Christian Badia, der es in 41 Dienstjahren vom Phantom-Piloten zum Vier-Sterne-General brachte und der zuletzt "Deputy Supreme Allied Commander Transformation" beim NATO-Kommando Allied Command Transformation (ACT) in Norfolk war. Mit dem größten Flugzeugkonzept der Welt hat Radia eine spektakuläre Innovation vorgestellt. Ob sich der Riese verwirklichen lässt, könnte sich an der jetzigen Militärversion entscheiden, die dem atemberaubend großen WindRunner vielleicht erst die nötigen Mittel und die nötige Stückzahl verschafft.