Radia WindRunner: Wird das Riesen-Frachtflugzeug jemals fliegen?

Riesenprojekt Radia WindRunner
Wird dieses Extrem-Frachtflugzeug jemals abheben?

Veröffentlicht am 16.05.2024

Klappern gehört zum Handwerk. Entsprechend geizt der Windanlagenhersteller Radia aus Colorado nicht mit Superlativen, wenn er sein neuestes Frachterprojekt vorstellt, den Radia WindRunner: Stolze 108 Meter Rumpflänge, selbst eine An-225 ist "nur" 84 Meter lang, und das zwölffache Frachtraumvolumen einer Boeing 747-400F soll der vierstrahlige Riese einmal erreichen, falls er denn realisiert werden sollte. Radia stellte den WindRunner Mitte März erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vor, nachdem das Unternehmen sein Projekt zuvor bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos einem Kreis von Insidern präsentieren durfte.

Riesenfrachter Radia Windrunner
Radia

"GigaWind"-Turbinen

Der Windanlagenbauer Radia war nämlich zu dem Schluss gekommen, dass der heute aus Umweltschutzgründen für vielerlei künftige Verwendungen erhoffte "grüne" Strom und "grüne" Wasserstoff nur in ausreichender Menge verfügbar gemacht werden kann, wenn mehr Windenergieanlagen gebaut werden, und zwar sehr viel mehr. Diese seien aber nur effizient zu betreiben, wenn man sie wesentlich vergrößere, jeweils bis fast auf die Größe des Eiffelturms, so Radia. Diese "GigaWind"-Turbinen benötigten entsprechend große Rotorblätter. Heute sind sie um die 70 Meter lang. Aber erst mit noch größeren Blättern, gut 100 Meter lang, könne man effizient grünen Strom gewinnen und außerdem Windkraftanlagen an viel mehr Orten wirtschaftlich betreiben. Denn die hohen Anlagen ernten auch dort Wind, wo kleinere grundsätzlich nie genug starke Luftströmung abbekommen, sagt Radia. Statt, wie bisher, nur entlang weniger Gebirgszüge in der Mitte der USA könne man mit GigaWind-Anlagen Windenergie fast in den gesamten Vereinigten Staaten flächendeckend ausnutzen.

Riesenfrachter Radia Windrunner
Radia

Fliegen als letzter Ausweg

Doch die dafür nötigen 100 Meter langen, einteiligen GigaWind-Riesenblätter, sie bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff oder Kohlefaser-Verbund-material, passen auf keinen Lkw-Spezialtransporter mehr, um sie auf dem Landweg aus der Fabrik zum Aufstellort bringen zu können. Ein Hindernis ist die enorme Länge des Ladegutes, größer als der Flügel eines Großraumflugzeugs, das beim Abbiegen kaum noch um die Ecke kommt, selbst wenn steuerbare Niederflur-Anhänger neuester Bauart genutzt werden. Zweites Hindernis ist die Höhe. An seiner Blattwurzel ist in jedes Rotorblatt nämlich eine ringförmige Halterung aus Stahl eingearbeitet, mit der man das Blatt an der Nabe der Windkraftanlage verstellbar aufhängt. Bei den "Monsterblättern" wird der Ringdurchmesser so groß, dass das Ladegut zu weit in die Höhe ragt. Die Fuhre ist mit über sieben Metern zu hoch für das öffentliche US-Straßennetz, selbst bei Tieflader-Transport. Autobahnbrücken, Unterführungen, Tunneldecken, Ampeln, Bäume und so weiter sind somit nicht passierbar. Auf US-Autobahnen liegt die übliche Maximalhöhe für Ladegut bei fünf Metern. Dies reicht bei weitem nicht für die geplanten Riesen-Turbinenblätter. Nur auf dem Wasser könne man diese Riesenanlagen bisher aufstellen, denn nur dort bekommt man per Schiff die Turbinenblätter angeliefert, sagt Radia. Jetzt solle endlich auch die US-Landmasse für die zwei- bis dreimal effizientere Riesengröße der Windkraftgewinnung erschlossen werden. Windstrom- und Wasserstoffkosten könnten dadurch um 35 Prozent sinken.

Radia will dafür auf den Lufttransport ausweichen und fliegen, mit dem WindRunner. Der für Windturbinenblätter maßgeschneiderte Spezialtransporter könnte schon ab 2027 im Einsatz stehen und bis zu 104 Meter langes Ladegut schlucken. Beladen wird der Schulterdecker, der entfernt an eine Mischung aus Galaxy und An-225 erinnert, durch ein großes Bugtor. Das Heck ist verschlossen, dafür reicht der Frachtraum innen bis hinten in die sich verjüngende Heckspitze, in die aber das Ende eines Rotorblattes noch genau hineinpasst. Das Cockpit ist in einer aufgesetzten, tropfenförmigen Verkleidung auf der Rumpfoberseite montiert. Der hallenartige Rumpfinnenraum mit viereckigem Querschnitt wird, anders als im Jumbo, durch das Cockpit in der Höhe nicht verengt. Vermutlich wird der Rumpf, bis auf die Cockpitzelle, nicht druckdicht ausgelegt, um ihn leichter bauen zu können.

Riesenfrachter Radia Windrunner
Radia

Landung auf Geröllpisten

Ein typischer Einsatzflug des WindRunners reicht von größeren Regionalairports in den USA, etwa jene mit einem flughafennahen Seehafen oder Flusshafen, in die Gebiete mit Windfarmen. Direkt dort soll der WindRunner auf provisorisch angelegten Pisten aus verdichteter Erde oder Schotter landen, die nur 1800 Meter lang sind. Dies bedeutet, dass der Vierstrahler trotz seiner enormen Maße kurzlandefähig ausgelegt sein muss. Die Konfiguration des WindRunners verrät die geplante Einsatzumgebung. Die weit oben und relativ weit innen platzierten Triebwerke hängen weit genug von der unbefestigten Landebahn weg, um keine Fremdkörper anzusaugen. Das Fahrwerk, vorne mit ungewöhnlichem Zwillings-Bugradfahrwerk jeweils in Wülsten an den Bugseiten und mit Doppelbereifung, deutet auf extreme Wendigkeit beim Rollen hin. Auch das Hauptfahrwerk mit nur vier Räderpaaren pro Seite deutet auf die gewünschte Fähigkeit zum Fahren sehr enger Kurvenradien hin. Dies könnte nötig sein, weil man nur die provisorische, schmale Piste als Rollfläche zur Verfügung hat und auf dieser, ohne "Hammerhead", vor dem Start wenden können muss.

Auch der Flügel ist erkennbar für den Kurzlande- und Kurzstartbetrieb auf den provisorischen Baustellenpisten konzipiert. Das Tragwerk mit einer Spannweite von immerhin 80 Metern ist nicht gepfeilt. Es dürfte damit bessere Langsamflugeigenschaften haben als ein für Langstrecken und hohes Tempo optimierter Pfeilflügel. Weder Langstrecken noch hohes Tempo muss der WindRunner bewältigen. Seine Reichweitenanforderung im Lieferverkehr ist mit 2000 Kilometern relativ begrenzt. Die Reisegeschwindigkeit ist nachrangig, wenn man dafür dicht ans Zielgebiet kommt. Die hohe Dienstgipfelhöhe von 41 000 Fuß (12 500 Meter) zeigt, dass der "kurze" WindRunner-Flügel gute Auftriebswerte liefert.

Riesenfrachter Radia Windrunner
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Be- und Entladung durch mitgeführte Gleitbahnen

Von der provisorischen Landepiste am Zielort müssen geländegängige Spezialzugmaschinen das Ladegut, jeweils zwei Riesen-Turbinenblätter, dann nur noch zum eigentlichen Aufstellort bringen. Be- und entladen wird der Wind-Runner durch ein Baukastensystem aus mitgeführten, zerlegbaren Leichtbau-Gleitbahnen in jeweils drei Stunden. Grob geschätzt entspricht die Flügelfläche des WindRunners etwa jener einer Antonow An-124. Dabei muss der WindRunner nur eine halb so schwere Nutzlast transportieren. Mit Triebwerken in der Kategorie GE9X könnte man den WindRunner auf die doppelte Schubleistung einer An-124 bringen. Damit dürfte der geplante Kurzstartbetrieb sichergestellt sein. Gegenüber dem sehr langen Rumpf wirkt der Flügel gedrungen. Seine kurze Spannweite dient dazu, schmale Landepisten zwischen den Windkraftanlagen am Zielort nutzen zu können. Das geteilte Leitwerk vermindert im Vergleich zu einer Heckflosse die Höhe, falls der WindRunner in einem Hangar parken soll. Wie einst die Heinkel 162 nutzt er an den Flügelspitzen nach unten geknickte Randkappen, seinerzeit "Lippisch-Ohren" genannt. Wie Winglets beruhigen sie die Strömung an den Flügelspitzen, vermindern den induzierten Widerstand und senken damit den Leistungsbedarf und Verbrauch.

Riesenfrachter Radia Windrunner
Radia

Fertigung bei Partnern

Erdacht hat das noch nicht in allen Details bekannte Riesenflugzeug der MIT-Luftfahrtingenieur Mark Lundstrom, Gründer und Vorstandschef von Radia. Er setzt nach Möglichkeit auf bekannte Technologien, um das Zulassungsverfahren nicht zu verkomplizieren und um Entwicklungsrisiken zu senken. Nach eigenen Angaben arbeitet Radia bereits mit einem großen Triebwerks- und einem großen Flugzeughersteller zusammen, um den WindRunner zu realisieren. Radia versteht sich nur als Projektkoordinator, lässt die eigentliche Fer- tigung aber bei Industrie-Partnern vornehmen. Dabei unterstützen das Unternehmen hochkarätige Branchenprofis, die als Mitarbeiter und Berater gewonnen werden konnten. Darunter Rachel Kelley als Vice President of Aircraft Engineering und Chefingenieurin, einst Chefingenieurin für die Jumbo-Militärversion VC-25B, Cristine Bloch als Vorstand für Flugzeugbau, sie war zuvor Operations-Vorstand bei Embraer, Carolyn Corvials Beraterin, zuvor Head of Commercial Aircraft bei Boeing, Ernest Moniz, der frühere US-Energieminister, und die frühere FAA-Chefin Marion Blakey, die zuvor Vorstandschefin und Präsidentin bei Rolls-Royce North America war. Laut Radia haben Industriepartner wie LS Power, Good Growth Capital, Capital Factory, Caruso Ventures und ConocoPhillips bereits Mittel in Höhe von fast 100 Millionen Dollar beigesteuert. Die Entwurfsarbeiten seien bereits weit fortgeschritten, mehr als die Hälfte sei schon fertig.

Riesenfrachter Radia Windrunner
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Technische Daten

Radia WindRunner

Aufgabe: Spezialtransporter für "GigaWind"-Turbinen- blätter mit Kurzlandefähigkeit auf provisorisch befestigten Pisten und mit hochklappbarem Bugtor
Triebwerke: vier
Länge: 108 m
Höhe: 24 m
Spannweite: 80 m
Laderaumvolumen: 8200 m³
erforderliche Startbahnlänge: 1800 m
Reisegeschwindigkeit: Mach 0.6
Dienstgipfelhöhe: 12 525 m
Reichweite bei voller Nutzlast: 2000 km
max. Nutzlastlänge: 105 m
max. Nutzlasthöhe: 7,3 m
max. Nutzlastbreite: 7,3 m