Der erste Flug dauerte 54 Minuten. 54 Minuten, die Russlands Flugzeugbau in eine neue Ära tragen sollen: Seit 2019 arbeitet die staatliche United Aircraft Corporation (UAC) an einer Variante des Suchoi Superjet, die (fast) ausschließlich aus russischen Bauteilen besteht. Projektname: Superjet-NEW. Die massiven westlichen Sanktionen seit Russlands Einmarsch in der Ukraine Ende Februar 2022 hoben die Dringlichkeit dieses Vorhabens noch einmal auf eine ganz neue Stufe. Nun hob der erste Prototyp mit der Bordnummer 97021 tatsächlich ab – standesgemäß mit einer Suchoi Su-30 als Begleitflugzeug und zur Freude aller Beteiligten am Boden.
3.000 Meter, 343 km/h
Im Cockpit des Airliner-Neulings saßen beim Jungfernflug die Testpiloten Leonid Chikunow und Dmitri Demenew. Ingenieur Denis Welischanin überwachte die Systeme des Flugzeugs, das bei seiner Premiere laut Herstellerangaben auf 3.000 Meter Höhe kletterte und eine Geschwindigkeit von 343 km/h erreichte. "Während der Tests wurden der stabile Betrieb aller inländischen Systeme, die Steuerbarkeit und die Stabilität des Flugzeugs in der Luft bestätigt", konstatierte UAC im Nachgang in einer Pressemitteilung. Alles habe zur vollen Zufriedenheit geklappt. Ein Durchstartmanöver und die Überprüfung des automatischen Druckkontrollsystems im Cockpit seien ebenfalls Teil des Programms gewesen.

Letzter Rolltest vor dem Erstflug: Am 26. August hob der Superjet SJ-100 erstmals mit dem Bugrad vom Boden ab.
Nase hoch, Startabbruch
Dass der erst kürzlich in SJ-100 umbenannte Superjet-NEW demnächst abheben würde, hatte sich schon länger abgezeichnet. Nach dem Roll-out Mitte Juni in Komsomolsk am Amur folgten zunächst zahlreiche Systemtests im Stand, die in der Folge in erste Rollversuche und Startabbruchtests mündeten – und schließlich damit endeten, dass der SJ-100-Prototyp bei Abhebegeschwindigkeit seine Nase in die Luft hob und mit dem Bugfahrwerk für einige Sekunden die Runway verließ, bevor eine beherzte Vollbremsung den Regionaljet wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Allerdings hatte UAC-Generaldirektor Juri Sljusar zuletzt noch von einem Termin im September gesprochen. Nun ging es offensichtlich schneller als der Chef selbst es sich dachte.
Neuer Jet, altes Triebwerk
Insgesamt rund 40 Komponenten westlicher Zulieferer hat UAC im Zuge der "Importsubstitution" beim neuen Superjet SJ-100 gegen russische Pendants ausgetauscht. Dazu zählen zum Beispiel das Fahrwerk, die Avionik und die Flugsteuerung, sowie die Hilfsgasturbine, die Stromversorgung, das Brandschutzsystem, die Klimaanlage und viele weitere Bereiche. Einen Schönheitsfehler jedoch ist der SJ-100-Prototyp bis zu seiner Flugpremiere nicht mehr losgeworden. Denn das eigentlich für den russifizierten Superjet vorgesehene Triebwerk PD-8 von Awiadwigatel hinkt dem Flugzeug selbst noch etwas hinterher. Sprich: Unter den mit "Sabrelets" bestückten Flügeln des SJ-100 arbeiten derzeit noch zwei "alte" SaM-146-Turbofans des französisch-russischen Joint-Ventures Powerjet. Das PD-8 steckt noch in den Zulassungstests. Erst die zweite SJ-100, so der Plan, wird von Beginn an mit dem neuen, rein russischen Turbofan bestückt sein.