Tandem-Cockpit, Stummelflügel, Bordkanone unterm Kinn: Auf den ersten Blick gleicht die Bell 360 Invictus in der Auslegung weitgehend dem, was wir seit Jahrzehnten von anderen Kampfhubschraubern kennen. Und doch soll dieser neuartige Helikopter bei der US Army die Zukunft mitgestalten. Als Kandidat im FARA-Programm ("Future Attack Reconnaissance Aircraft") lässt ihn Bell zum Showdown gegen Sikorskys Raider X antreten. Während letztere mit Koaxialrotor und zusätzlichem Druckpropeller am Heck in der Tat ziemlich futuristisch wirkt, mutet die konventionelle Auslegung des Bell-Hubschraubers mit Haupt- und Heckrotor beinahe dröge an.
Einfach, günstig, effektiv
Dieser konservative Ansatz kommt aber nicht von ungefähr – er ist Programm: "Bell ist bestrebt, der US Army die erschwinglichste, nachhaltigste, am wenigsten komplexe und risikoärmste Lösung unter den potenziellen FARA-Konfigurationen anzubieten und gleichzeitig alle Anforderungen zu erfüllen", sagte Keith Flail, Vice President of Advanced Vertical Lift Systems bei Bell, schon bei der Vorstellung des Invictus-Konzepts im Oktober 2019. Das sah damals unter anderem noch einen Fenestron im Heck vor. Der Prototyp, der aktuell bei Bell im texanischen Amarillo entsteht, und der laut Hersteller zu mehr als 90 Prozent fertig ist, besitzt allerdings einen offenen Heckrotor – entlehnt von der seit Jahren in der Flugerprobung stehenden Bell 525 Relentless. Der Hauptrotor stammt ebenfalls von diesem Helikopter.
Genau wie die Relentless wird auch das Model 360 über Fly-by-wire gesteuert. Raketen und Lenkwaffen transportiert die Invictus in internen Waffenschächten. Im Einsatz fahren die Waffenaufhängungen an Schienen über die Unterseiten der Hilfsflügel aus. Auf eine geringe Radarsignatur ist der Hubschrauber laut Bell jedoch nicht optimiert. Die intern mitgeführte Bewaffnung soll vor allem dabei helfen, das in der FARA-Ausschreibung genannte Ziel zu erreichen, das für den künftigen Hubschrauber eine Marschgeschwindigkeit von mindestens 180 Knoten (333 km/h) ausgibt.

Triebwerk kommt erst noch
Ein Garant dafür, dass die Invictus diese Marke knackt, ist neben dem strömungsgünstigen Design vor allem das Triebwerk des neuen Hubschraubers. Genau das ist derzeit aber noch nicht verfügbar. Damit es später genau in die Zelle passt, nutzte Bell nach Angaben des Portals Vertical Mag ein 1:1-Replikat aus dem 3D-Drucker für Formschlusstests. In Kürze soll es durch das funktionsfähige Original ersetzt werden: eine T901-Turbine von General Electric (GE) mit rund 3.000 PS Leistung. Um Leistungsspitzen abzudecken, wird das backbordseitig unterm Hauptrotor platzierte Triebwerk von einem 586 PS starken PW207D aus dem Hause Pratt & Whitney Canada unterstützt.

Vergleichsfliegen 2023?
Läuft alles nach Plan, kann General Electric seinen neuen Motor, der im März dieses Jahres zum ersten Mal auf dem Prüfstand lief, im November an Bell liefern. Erklärtes Ziel der Texaner ist es dann, die Invictus möglichst früh im Jahr 2023 in die Luft zu bekommen. In einem ähnlichen Zeitrahmen bewegt sich auch Mitbewerber Sikorsky, dessen Konkurrenzmodell Raider X ebenfalls das T901 von GE als Antriebsquelle nutzt. Welcher der beiden Hubschrauber letzten Endes das Rennen macht, könnte sich bald danach schon zeigen: Spätestens für Herbst 2023 plant die US Army ein Vergleichsfliegen beider Helikopter.