80. Todestag: Das Verschwinden von Antoine de Saint-Exupéry

„Ich hätte niemals geschossen ...“
Das Verschwinden von Antoine de Saint-Exupéry

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Veröffentlicht am 12.09.2024

In meiner 50-jährigen Laufbahn als Pilot habe ich oft schmunzelnd den Satz zitiert: "Es gibt alte Piloten, und es gibt kühne Piloten, aber es gibt keine alten, kühnen Piloten." Antoine de Saint-Exupéry war mit Sicherheit ein kühner Pilot. Geboren 1900 in Lyon, machte er 1921 seine Fluglizenz bei der französischen Armee in Straßburg. Mit 25 Jahren heuerte er bei der Luftfrachtgesellschaft Latécoère in Toulouse an und bediente die Strecke Toulouse–Casablanca, später Casablanca–Dakar. Berühmt wurde die Latécoère 28.3 "Comte de la Vaulx" (F-AJNQ), die am 12./13. Mai 1930 als erstes französisches Flugzeug den Südatlantik im Postdienst überquerte – von Saint-Louis (Senegal) nach Natal (Brasilien) in 21 Stunden und 14 Minuten. Beim Konkurs von Latécoère übernahm die Fluggesellschaft Aéropostale (1933 fortgeführt von Air France) 35 Maschinen vom Typ Laté 28 (Erstflug 1929, Stückzahl 50), die auf den Linien nach Afrika zum Einsatz kamen. 1929 wechselte Saint-Exupéry zur Aeroposta Argentina – das war die Zeit kühner Piloten.

Sammlung Bergholz

"Vol de nuit" (Nachtflug)

Es gehörte schon eine gehörige Portion Kühnheit dazu, mit einem Postflugzeug in die Dämmerung aufzusteigen und sich an Leuchtfeuern entlang zum Zielflugplatz zu hangeln. Ein Held dieser nächtlichen Flüge über die Anden war Henri Guillaumet (1902–1940). Am 13. Juni 1930 stürzte er mit seiner Potez 25 F-AJDZ (Erstflug 1925, Stückzahl 3500) in der Dunkelheit am Laguna Diamante in einer Höhe von mehr als 4000 Metern ab. Beseelt von den Gedanken an seine Frau machte er sich durch Schnee und Kälte auf die Suche nach einem Dorf, er wollte überleben, einfach nur gefunden werden. Nach einer Woche hatte er Glück und traf auf ein paar Häuser, dann sah er tatsächlich auch seinen Freund Antoine de Saint-Exupéry wieder, der sich nach ihm auf die Suche gemacht hatte. Im Roman "Vol de nuit" (Nachtflug), der 1931 erschien und seinen Ruhm begründete (Prix Femina), beschreibt Saint-Exupéry den letzten Flug eines Piloten, der mit leerem Tank vergeblich auf das finale Leuchtfeuer hofft.

Sammlung Bergholz

Rekordflüge in den 30er Jahren

Für die noch junge Fliegerei hatten die 1930er Jahre eine besondere Bedeutung und waren von der ständigen Jagd nach neuen Rekorden bestimmt: Geschwindigkeit, Gipfelhöhe und natürlich Reichweite – in der ganzen Welt. Am 3. Februar 1934 nahm die Vorgängerin der heutigen Lufthansa die flugplanmäßige Luftpost-Verbindung von Deutschland über den Südatlantik auf – eine Pionierleistung (Dornier Wal, Junkers W 34). Und eine Tupolew ANT-25 (Kennung URSS-NO25) startete in Moskau mit Waleri Tschkalow, Georgi Baidukow und Alexander Beljakow zu einem beeindruckenden Flug, zum ersten Mal in der Luftfahrtgeschichte über den Nordpol Richtung USA: Das Flugzeug landete nach 9130 Kilometern am 20. Juni 1937 auf dem Pearson Field, zwei Kilometer südöstlich von Vancouver. Damals waren Piloten noch Volkshelden, daher wurde die Besatzung von Präsident Roosevelt im Weißen Haus empfangen. Noch ausgelassener war die Partystimmung der nächsten Besatzung: Landung in San Jacinto in Kalifornien mit Konfetti-Parade in New York nach einem FAI-Rekord: Flugzeit 62 Stunden und 17 Minuten, Flugstrecke 10 148 Kilometer – eine außergewöhnliche Leistung.

Sammlung Bergholz

Absturz in der Wüste

Auch Antoine de Saint-Exupéry war ein Held in Frankreich und arbeitete Mitte der 1930er Jahre (frisch verheiratet) in seiner Heimat als Pilot für Rund- und Werbeflüge (überwiegend mit einer Farman F.393) und als Autor. Aber die Ferne war zu verlockend. Es galt, einen neuen Rekord aufzustellen für den Flug von Paris nach Saigon (damals Hauptstadt der französischen Kolonie) – ausgelobt war ein Preis von 150 000 Francs. Saint-Exupéry erwarb zu diesem Zweck eine Caudron C.635 Simoun, Seriennummer 7042 (F-ANRY), im Juli 1935 bestellt und im September 1935 ausgeliefert. Dieses beliebte Muster erreichte eine Stückzahl von fast 600 Exemplaren. Das robuste viersitzige Flugzeug (Erstflug Oktober 1934) hatte auch den Vorteil, dass man die hintere Sitzbank entfernen konnte, um ausreichend Platz für Zusatztanks zu schaffen. Am 29. Dezember 1935 startete Saint-Exupéry zusammen mit seinem Copiloten und Mechaniker André Prévot (1907–1947) Richtung Saigon. Nach 19 Stunden und 38 Minuten Flugzeit ab Paris, während der nächtlichen Etappe von Bengasi nach Kairo, kam es zu schlechten Wetterbedingungen und die Besatzung beschloss, zunächst über die Wolken zu steigen, entschied sich dann aber zum Unterfliegen der Front. Dabei kam es zur Bodenberührung eines Sandplateaus und einer unsanften Landung in einem Wüstengebiet etwa 20 Kilometer südlich von Wadi El Natrun. Beim Aufsetzen verlor das Flugzeug sein Fahrwerk und rutschte einige Dutzend Meter weiter. Beide Insassen blieben unverletzt. Einzige Aussicht auf Rettung war der Weg durch die Hitze, der glücklicherweise nach vier Tagen endete, als Beduinen die Havarierten aufnahmen und verpflegten. Diese Erlebnisse verarbeitete Saint-Exupéry in seinem preisgekrönten Buch "Wind, Sand und Sterne". Ein wirklicher Welterfolg wurde 1943 dann "Der kleine Prinz" – eine märchenähnliche Erzählung über einen in der Wüste notgelandeten Flieger. Das Buch wurde in 140 Sprachen veröffentlicht und gehört heute zu den bekanntesten Büchern der Welt.

Sammlung Bergholz

Autor und kühner Pilot

Seinen nächsten Rekordversuch startete Saint-Exupéry im Februar 1938 beim Flug von New York nach Feuerland wieder mit Prévot in der C.635M (F-ANXK). Doch die Maschine wurde in Guatemala-Stadt völlig übertankt, was ein Abheben unmöglich machte, beide Piloten wurden schwer verletzt. Prévot gab die Fliegerei auf – und Saint-Exupéry? Er war 38, hatte eine junge Frau und wurde in New York halbwegs zusammengeflickt, kehrte nach Frankreich zurück und arbeitete bei Kriegsbeginn als Fluglehrer in der Armee. Bei der Demobilisierung nach dem Waffenstillstand am 25. Juni 1940 hielt er sich in Algerien auf (damals französische Kolonie). Erschöpft zog er sich auf das Landgut seiner Schwester in Agay/Côte d’Azur zurück, ging dann via Portugal für zwei Jahre in die USA und schrieb an "Flug nach Arras" und seinem "Prinzen". Aber Saint-Exupéry wollte wieder fliegen, wollte kämpfen. Im Mai 1943 kam er deshalb in das von angloamerikanischen Truppen kontrollierte Algerien und wollte als Pilot eingesetzt werden. Aber früher flog man mit dem "Hintern", in den modernen Maschinen musste man nach Instrumenten fliegen … Doch er wurde akzeptiert und bekam Mitte 1944 auf Sardinien, dann auf Korsika (Flugplatz Bastia-Borgo) seine Chance. Aus Sicht der Kameraden, die meist Anfang zwanzig waren (und oft auch nicht älter wurden), war Antoine mit seinen fast 44 Jahren ein "alter Mann". In seinem langen Fliegerleben war er überwiegend behäbige Transporter geflogen, zudem seit 1938 nur noch selten. Die Lockheed P-38 Lightning mit den zwei V12-Motoren Allison V-1710-111 war dagegen ein Geschoss, nicht leicht zu beherrschen. Konstruiert wrude sie 1936 von Clarence "Kelly" Johnson (Projekt "Model 22-64-01) als einsitziger Höhen-Abfangjäger) Stückzahl 10 037 Maschinen, Erstflug 27. Januar 1939). Aber wirklich erfolgreich war sie nur als Jagdbomber und schneller Aufklärer.

Sammlung Bergholz

Letzte Chance 1944 auf Korsika

Auf Korsika soll Saint-Exupéry eine heftige Bruchlandung hingelegt haben und anschließend vom Flugbetrieb suspendiert worden sein. Er wünschte sich aber noch einen letzten Flug, um sein Leben für Frankreich einzusetzen. Von seinem Kommandeur Oberst Leon Gray ist der Satz überliefert: "Es ist mir scheißegal, ob du für Frankreich stirbst oder nicht, aber du wirst das nicht in einem unserer Flugzeuge tun." Allerdings war er nicht irgendein Flieger – er war Antoine de Saint-Exupéry, den jeder kannte. Und so bekam er vier Wochen nach seinem 44. Geburtstag doch noch einen Aufklärungsflug. Sollte es sein "Abschiedsflug" werden? Oder wollte er es allen noch einmal zeigen und kostbare Luftaufnahmen von Marseille machen? Hitler hatte 1944 die westlichen Hafenstädte zu "Festungen" erklärt. Am 27. Mai griffen US-Bomber die Stadt an (die Kapitulation folgte am 28. August 1944). Doch welche Wirkung hatte der Angriff? Was würden die Luftaufnahmen zeigen?

Hans Fahrenberger/ ZDF via Bergholz

Rätsel um das Verschwinden

Am 31. Juli 1944 stieg Saint-Exupéry am frühen Morgen in eine Lockheed F-5 (USAAF -Nr. 42-68223) mit Flugplan Grenoble (nicht nach Marseille) – Auftrag: drei Stunden Luftaufklärung. Aber das Flugzeug kehrte nie zurück. Es blieben Spekulationen: Pilotenfehler, technischer Defekt, Freitod? Heute ist bekannt: Er wurde abgeschossen. Die Lightning war eine leichte Beute für wendige Jäger wie die Bf 109 – aber es gab zunächst keinerlei Indizien oder Beobachtungen. Im Jahr 1998 dann der sensationelle Fund: Der Fischer Jean-Claude Bianco fand in seinem Netz ein Silberarmband mit der Namensgravur von Antoine. Aber wo war die F-5? Es dauerte weitere fünf Jahre bis der Unterwasserforscher Pierre Becker vor der Insel Riou südlich von Marseille  das Wrack entdeckte. Im Rahmen der Veröffentlichungen zu diesem Fund meldete sich auch der Schütze dieses verhängnisvollen Tages: Obergefreiter Horst Rippert (1922–2013) bekannte sich zu dem Abschuss. Als Mitglied der Jagdgruppe 200 sei er zu dem Flug vom Fliegerhorst Marignane nahe Marseille gestartet. Er wurde selbst zwei Mal abgeschossen, erzielte 28 bestätigte Luftsiege, der am 31. Juli 1944 zählte nicht dazu. Rippert, der nach 1945 als ZDF-Sportreporter arbeitete, belastete dieser Abschuss sehr. In einem Interview sagte er 2012: "Ich habe den so gemocht aus seinen Werken, dass er mir ein Liebling wurde. Seine Bücher waren immer anregend, sehr gut, auch anregend zur Fliegerei. Mit den Geschichten, die er so wunderschön dargestellt hat, sind wir aufgewachsen. Wenn ich es gewusst hätte, ich hätte niemals geschossen – auf diesen Mann nicht."