Traumschiff Voyager: Stinson 108, perfekt restauriert

Stinson 108 Voyager
Traumschiff Voyager, schöner denn je

Veröffentlicht am 29.03.2024

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte die Privatluftfahrt in den Vereinigten Staaten einen bisher nicht da gewesenen Aufschwung. Die Kapazitäten der Werke waren wieder frei und die Hersteller hatten wieder Zeit, zivile Muster zu produzieren. So auch bei Stinson Aircraft (inzwischen ein Teil von Consolidated Vultee) in Wayne, Michigan. Die Stinson Aircraft Company wurde 1920 in Dayton, Ohio, von dem Flieger Edward "Eddie" Stinson gegründet – neun Jahre nachdem er bei den Gebrüdern Wright das Fliegen gelernt hatte. Im Jahr 1925 machte Stinson Detroit, Michigan, zum Standort seines Unternehmens. In den folgenden drei Jahrzehnten liefen mehr als 13 000 Exemplare vom Band und trugen das Firmenlogo bestehend aus Pfeil und Bogen.

Philipp Prinzing

Stinson 108

Nach vielen sehr erfolgreichen Mustern, wie der Stinson Reliant, der Stinson L-5 (Aufklärungs- und Verbindungsflugzeug während des Zweiten Weltkriegs), begann ab 1946 die Produktion der Stinson 108, einer Weiterentwicklung des Vorkriegs-Stinson-Model-10 Voyager. Sie war ein leichtes, einmotoriges, viersitziges Reiseflugzeug, welches in insgesamt vier Varianten angeboten wurde. Anfangs angetrieben von einem 150-PS-Franklin-Motor, der später gegen ein 165 PS starkes Triebwerk getauscht wurde. Die letzte Version der Voyager wurde Ende 1948 produziert: das Modell 108-3 mit dem größeren Kraftstofftank und dem höheren Seitenleitwerk, dem Symbol vieler Stinsons.

Philipp Prinzing

Piper übernimmt

Piper Aircraft erwarb im Dezember 1948 die Werkzeug- und Herstellungsrechte und es wurden einige weitere Voyager gebaut, bevor die Produktion 1950 eingestellt wurde. Als Stinson 1949 die Musterzulassung an Piper verkaufte, waren etwa 325 der insgesamt 5260 von Stinson gebauten Flugzeuge des Modells 108 zwar fertiggestellt, aber noch unverkauft. Diese 325 Flugzeuge des Modells 108 gingen als Teil des Verkaufs an Piper. Piper verkaufte diesen Bestand dann in den nächsten Jahren als Piper-Stinson. Piper produzierte auch die Stinson Station Wagon, die eine leichte Frachtversion der Voyager war. Durch den Ausbau der beiden Rücksitze wurde Platz für bis zu 300 Kilo Fracht geschaffen. Die Station Wagon hatte ein etwas geringeres Leergewicht. Genau so eine Flying Station Wagon, hergestellt von Stinson, gehört heute Holger Keil.

Philipp Prinzing

November 970D

Ein Jahr nach der Aufnahme der Produktion der Voyager lief eine Flying Station Wagon (108-2) mit der Stinson-Seriennummer 108-2970 vom Band. Registriert wurde sie auf N970D und flog so bis 1964. Am 4. April wollte ein wohl neuer Eigner mit der 970D am Flugplatz Great Barrington zu einem Flug abheben. Doch die Wetterbedingungen waren nicht perfekt – schon beim Rollen zur Startbahn stellte eine Böe, von schräg hinten kommend, die kleine Stinson auf die Nase und beschädigte sie schwer. Erst sieben Jahre später fand sich ein neuer Besitzer, der sie erstmals restaurierte. Dabei wurden viele originale Teile verwendet, denn sowohl auf dem Rumpf als auch auf den Flächen und dem Leitwerk befindet sich immer noch die gleiche Seriennummer. Es folgten einige weitere Besitzer, bis Holger Keil 2012 auf die Stinson aufmerksam wurde. "Zu der Zeit war ich noch recht aktiv im Kunstflug und unsere RD325/XA42 hatte erst ein Jahr vorher ihren Erstflug gehabt. Die Idee unseres Teams war, einen Transporter für die Wettbewerbe und Trainingslager zu haben. Es sollte ein günstiges Spornradflugzeug sein – und so kam ich zur Stinson", schildert der ehemalige MiG-21-Pilot seinen Beginn der Suche nach einer Stinson.

Philipp Prinzing

Veredelt mit Mahagoni

Ein Freund in den USA brachte die N970D nach Peru in Illinois und führte eine Pre-Buy Inspection durch. Die Stinson-108-Serie ist heute noch sehr beliebt, denn ihre guten Flugeigenschaften und -Leistungen und die verfügbare Technik machen sie zu einem guten Familienflieger. Die N970D war in keinem sonderlich guten Zustand, aber dafür günstig und passte ins Bild. Es war sogar eine Flying Station Wagon mit verstärktem Kabinenboden (3/4 Zoll statt ½ Zoll), herausnehmbaren Rücksitzen (laut Hersteller innerhalb von zehn Minuten), in der man über 250 Kilo in der Kabine mitnehmen kann. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Kabine nicht mit Stoff ausgeschlagen, sondern mit hochwertigem Mahagoniholz verkleidet ist. Die Idee war, sie einfach im Container nach Europa zu holen und so zu fliegen, wie sie war. Im November 2012 kam sie in ihrer neuen Heimat, dem Flugplatz Reinsdorf, an.

Philipp Prinzing

Einfach neu bespannen?

Die Idee war: Sie sollte einfach mal neu bespannt werden, und fertig. Ein Freund auf dem Flugplatz sollte die Arbeiten ausführen. Der war aber zu diesem Zeitpunkt noch mit der Reparatur/Restaurierung einer Boeing Stearman beschäftigt. Irgendwann fing er dann aber doch an. Allerdings hatte er einige gesundheitliche Probleme, die ihn zur Aufgabe des Projekts bewegten. Durch Kontakte kam Holger Keil dann in Verbindung mit der Firma Rare Bird Aviation in Ungarn. Rare Bird am Flugplatz Meidl ist nur wenige Kilometer von der Grenze zu Österreich zu Hause und hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen mit der Restaurierung historischer Flugzeuge und deren Wartung gemacht. Dazu gehören nicht nur die Stinson 108, Ryan PT-22, sondern auch Preziosen wie North American P-51 Mustang, Messerschmitt Bf 108 Taifun (die heute zur Sammlung auf Usedom gehört) und gleich mehrere Messerschmitt Bf 109. Darunter auch die D-FMBB (FMBD) und die zuletzt fertiggestellte Bf 109 G-6 "Weiße 10" der Timmerman-Kollektion aus Kanada.

Philipp Prinzing

Ungeplante Komplettrestaurierung

Der kleinen N970D haben sie genauso viel Aufmerksamkeit zukommen lassen wie einem High-End-Warbird, und so kam es, wie es bei vielen Restaurierungen ist: Aus "mal eben die Bespannung machen" entwickelte sich kurz nach dem Eintreffen in Ungarn eine Komplettrestaurierung. Beim Entfernen der Bespannung wurde klar, dass es umfangreicher werden würde. Im Rumpf fehlten zwei Spante, viele Teile waren nicht mehr verwendbar. Darunter die Hauptbremszylinder, die Nosebowl und die komplette Verglasung. Viele Dinge, die gebraucht beschafft worden waren, passten leider nicht, denn in den 40er Jahren war die Produktion solcher Muster doch eher noch eine Manufaktur und keine baugleiche Serienproduktion. So war beispielsweise die Innenausstattung nicht zu retten oder durch gute Gebrauchtteile ersetzbar. Also wurde sie kurzerhand neu angefertigt und besticht heute durch absoluten Bestzustand. Drei Jahre blieb die Stinson in Ungarn, bevor Holger Keil sie 2022 wieder zurück nach Reinsdorf holte.

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Kein Packesel – Genussflugzeug!

Aus der geplanten Nutzung wird nichts mehr, denn Keils Kunstflugambitionen haben sich deutlich abgeschwächt und der ursprünglichen Aufgabe als Transporter muss sie nicht mehr nachkommen. Jetzt wird die N907D als Genussflieger genutzt. Einmal in der Luft, reagiert sie ziemlich direkt auf Steuereingaben. Durch die festen Vorflügel und den recht geringen Höhenruderausschlag bekommt der Pilot sie auch kaum in einen Stall, was sie zu einem gutmütigen Flugzeug auch für Spornradanfänger macht. Holger Keil wird seine zum Traumschiff Voyager gewordene N970D zukünftig zum Reisen nutzen, wobei er dabei den Weg als Ziel bezeichnet.

Philipp Prinzing