Training bei Tag und Nacht
Intensivkurs Luftbetankung mit der Tupolew Tu-95

Die Tupolew Tu-95 ist geschaffen für die Langstrecke. Wenn sie in der Luft betankt wird, lässt sich die Flugzeit fast beliebig ausdehnen: Der Rekord liegt bei mehr als 43 Stunden. Doch das Auftanken im Flug will gelernt sein – besonders, wenn es dabei stockdunkel ist.

Intensivkurs Luftbetankung mit der Tupolew Tu-95
Foto: Russisches Verteidigungsministerium

Schon im Kalten Krieg war die Tupolew Tu-95 bei NATO-Fliegern legendär. Das infernalische Dröhnen des im Westen "Bear" genannten Langstreckenbombers übertönte im Cockpit locker den Sound des eigenen Kampfjets, wenn die Alarmrotten des Atlantikpakts mal wieder eines der martialischen Turboprop-Monster vor irgendeiner Küste abfangen mussten. Es heißt, dass sogar U-Boote der US Navy unter Wasser die Tu-95 per Sonar aufspüren konnten. Schuld daran sind die acht gegenläufigen AV-60-Propeller von Aerosila, je ein Paar an jedem Triebwerk, die von vier Kusnezow NK-12-Motoren angetrieben werden und deren Klangteppich alles Vergleichbare in den Schatten stellt. Noch heute gilt die "Bear", die 1952 ihren Erstflug feierte und seither mehrfach modernisiert wurde, als das lauteste Flugzeug, das derzeit im Einsatz ist.

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Tupolew
Die Tupolew Tu-95 ist seit 1956 im Dienst. Die heute noch aktiven Exemplare wurden jedoch erst in den 80er- und frühen 90er-Jahren gebaut.

Lange Flüge sind Alltag

Ihre Besatzungen hindert dieser Umstand selbstredend nicht daran, mit dem "fliegenden Dinosaurier" zu vielstündigen Langstreckenflügen aufzubrechen – schließlich wurde die Tu-95 einst für genau diesen Zweck gebaut. Die typische Missionsdauer im Kalten Krieg lag bei rund zehn Stunden, und auch in der Gegenwart sind derlei Flugzeiten für die "Bear"-Besatzungen nicht ungewöhnlich. Die maximale Reichweite der aktuellen Variante Tu-95MS beträgt 15.000 Kilometer, bei einer Reisegeschwindigkeit von etwas mehr als 700 km/h. Allerdings gilt das nur ohne Bewaffnung. Soll es mitsamt Marschflugkörpern ähnlich weit oder gar noch weiter gehen, müssen die Turboprop-Raketenträger in der Luft nachtanken. Das wiederum wird in Russland regelmäßig trainiert. So wie jüngst in der Oblast Amur im Fernen Osten, als Tu-95MS vom Stützpunkt Ukrainka zu einem regelrechten "Intensivkurs Luftbetankung" starteten. Insgesamt 25 Stunden waren die "Bear"-Crews dabei in der Luft, wie die russische Luftwaffe berichtet – ob am Stück oder in mehreren Etappen, geht aus den Angaben nicht zweifelsfrei hervor. Ein zugehöriges Video aus Ukrainka zeigt jedoch mehrere Starts und Landungen zu unterschiedlichen Tageszeiten.

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Luftbetankung bei Tag und Nacht

Kernelement der Übungsflüge war das Training von Betankungsmanövern, sowohl bei Tag als auch bei völliger Dunkelheit. Bei einer Geschwindigkeit von rund 550 km/h dockten die Tu-95MS in 6.000 Metern Höhe an die Schlauchsonden der Tankflugzeuge an. Nach Angaben der russischen Luftwaffe beträgt der Abstand zwischen den Bombern und den Spritspendern, in diesem Fall Iljuschin 78, bei solchen Manövern weniger als 20 Meter. Die Tu-95MS nutzt zur Luftbetankung ihre lange, lanzenartige Sonde am Bug, die zentral unterhalb der Cockpitscheibe angebracht ist. Die Piloten haben somit eine vergleichsweise gute Sicht auf das Geschehen. Dennoch betont die russische Luftwaffe, dass Betankungsmanöver stets zu den "kompliziertesten Elementen" der Flugausbildung zählen – erst recht in der Nacht.

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30.000 Kilometer am Stück

Lange Flüge in einer Tu-95 können sich vermutlich ganz schön ziehen – denn ganz abgesehen vom Lärmpegel, den die sieben Mann starke Besatzung dabei genießen darf, lässt auch der Komfort an Bord zu wünschen übrig. Nicht einmal eine abgeschlossene Toilette gibt es. Sattdessen steht für dringende Bedürfnisse ein Behelfsklo bereit – direkt hinter dem Sitz des Navigators. Doch die russischen Bären und ihre Crews sind augenscheinlich hart im Nehmen. Den Rekord halten zwei Tu-95MS, die am 28. Juli 2010 vom Stützpunkt Workuta zu einem Nonstop-Trainingsflug über den Atlantik, die Arktis, den Pazifik und das Japanische Meer abhoben und dabei mehr als 43 Stunden in der Luft blieben. Auf ihrer insgesamt 30.000 Kilometer langen Wegstrecke tankten sie vier Mal in der Luft auf. Nach ihrer Landung auf dem Fliegerhorst Ukrainka wurden die Besatzungen mit Blumen empfangen, handelte es sich bei der 43-Stunden-Mission doch nach russischer Lesart um einen Weltrekord für Flugzeuge dieser Klasse. Wie lange das Dröhnen der Propeller nach der Landung in den Ohren aller Crew-Mitglieder nachhallte, ist nicht überliefert.

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Erscheinungsdatum 06.03.2023