Für Petro Balabujew gab es – mitten in den Wendewirren der zerfallenden Sowjetunion – nur eine Option: weitermachen! Der Chef des Konstruktionsbüros Antonow aus Kiew in der nach Unabhängigkeit strebenden Ukraine setzte in den frühen Neunzigern alles daran, seinen traditionsreichen Laden irgendwie am Laufen zu halten. Wenn Konstrukteure keine Arbeit haben, verkümmern ihre Gehirne, soll Balabujew stets scherzhaft betont haben. Also beschäftigte der aus Lugansk stammende Professor seine Mannschaft, so gut es ging.
Das war alles andere als einfach, denn mit der Wende kamen Antonows wichtigste Projekte – die Transportflugzeuge – ebenfalls ins Stocken. Gleichzeitig sah Balabujew im postsowjetischen Raum, ganz besonders in Russland, einen starken Bedarf für neue, moderne Passagierflugzeuge, die es in Wirtschaftlichkeit, Kabinenkomfort und Technik mit den neuesten Pendants aus dem Westen aufnehmen konnten. Das Antonow-Büro entwickelte aus diesem Impuls heraus ab 1990 den Propfan-Airliner An-180 für Kurz- und Mittelstrecken – und beschäftigte sich ab spätestens 1991 auch mit einem Großraumjet für 350 Passagiere und Flugdistanzen von bis zu 7.000 Kilometern. Das Projekt Antonow An-218 war geboren.

Die An-218 als Modell beim Aérosalon in Paris Le Bourget
Der Zweistrahler setzt sich durch
Für die Umsetzung der An-218 standen anfangs eine zwei-, eine drei- sowie eine vierstrahlige Ausführung im Raum. Letztere landete aber sehr rasch im Papierkorb – zu ineffizient, und zu ähnlich der von Iljuschin stammenden Il-96-300 aus Russland. Da Professor Balabujew die Gunst der Oberen in Moskau als zentral für das Gelingen seines Unterfangens ansah, wollte er den Eindruck, die An-218 könnte im Revier der Il-96 wildern, gar nicht erst entstehen lassen. Auch das Dreistrahler-Konzept im Stile der Lockheed L-1011 TriStar wurde bald darauf verworfen: Die An-218 sollte ein moderner Twinjet sein, die ukrainische Antwort auf Airbus A310 und Boeing 767.
Als Triebwerk wählten die Antonow-Konstrukteure ein Modell, das sie schon kannten: das Lotarjow D-18T, mit dem auch die Riesenfrachter An-124 und An-225 bestückt waren (und, im Falle der An-124, heute noch sind). Allerdings war das D-18T zu jener Zeit noch stark von Kinderkrankheiten geplagt und im Betrieb alles andere als ein Verlässlichkeitsmonster. Zudem ermittelten die mit dem Projekt An-218 betrauten Ingenieure, dass die Motoren für das neue Flugzeug stärker sein mussten. Antonow gab deshalb beim Triebwerksbauer Iwtschenko-Progress aus Saporoschje ein optimiertes D-18TM in Auftrag, das mit gut 245 kN Schub etwa 15 kN mehr leisten sollte als die Ausgangsversion D-18T.

Für die Kabine sah Antonow eine 2-4-2-Sitzanordnung vor,
Auf Augenhöhe mit der 767
Der Elan der Antonow-Designer für das neue Flugzeug war ungebrochen, auch wenn sich politisch und ökonomisch immer dunklere Wolken über Kiew und Moskau zusammenzogen. Werbebroschüren wurden gedruckt, ebenso Kalender und andere Werbemittel mit der Silhouette des angedachten Großraumjets. Die Rahmendaten der An-218 sahen einen Rumpf mit 58,15 Metern Länge und 5,62 Metern Durchmesser vor, der in drei Klassen 294 und bei voller Platzausnutzung 340 bis 350 Fluggäste beherbergen konnte. Die Spannweite sollte 50 Meter betragen, die Höhe 15,6 Meter. Damit bewegte sich die An-218 ziemlich genau in der Größenordnung der Boeing 767-300.
Das Startgewicht legte Antonow in der Basisversion auf 170 Tonnen fest, die Zuladung auf 42 Tonnen. Für die Reichweite notierten die Ukrainer bei einer Drei-Klassen-Auslegung der Kabine 7.000 Kilometer, in "high density"-Bestuhlung und mit voller Nutzlast sollten noch 6.300 Kilometer drin sein – bei einer Reisegeschwindigkeit von 850 bis 870 km/h. Später, etwa um 1993, bewarb Antonow zusätzlich eine Version der An-218 mit bis zu 10.000 Kilometern Reichweite. Diese sollte abermals leistungsgesteigerte D-18TP-Turbofans mit je 269 kN Schub erhalten. Im Gespräch war außerdem die optionale Motorisierung mit gleichstarken RB211-Triebwerken von Rolls-Royce.

Die An-218 sollte in Sachen Passagierkomfort und Effizienz an die Großraumjets von Boeing und Airbus anknüpfen. Antonow bemühte sich deshalb stark um Knowhow aus Westen.
Fortschritt und Probleme
Um 1994 war die Konzeptphase für die An-218 fast vollendet, etwa 90 Prozent des Entwurfs standen bereits fest. Am Zentralen Aerohydrodynamischen Institut (ZAGI) in Schukowski bei Moskau hatte man unterschiedliche Flügelprofile im Windkanal getestet – das dadurch ermittelte Profil der Wahl bezeichnete Chefkonstrukteur Balabujew voller Stolz als aerodynamische "Perle". Im Antonow-Hauptwerk Swjatoschyn entstand sogar ein 1:1-Modell des Airliners aus Holz, mit komplett eingerichteter Kabine und funktionsfähigem Cockpit. Als Hauptort für die Serienfertigung war das Flugzeugwerk im südrussischen Samara im Gespräch.
Da der Ukraine (und auch Russland) in vielen Bereichen des modernen Flugzeugbaus die technische Erfahrung fehlte, buhlte Antonow verstärkt um die Unterstützung durch westliche Ingenieure, bot Unternehmen aus dem Westen Joint-Ventures an und versuchte, sich entsprechendes Know-how im Eiltempo selbst anzueignen. Anatoli Wownjanko, damals stellvertretender Chefdesigner für die An-218, erinnert sich: "Wir hatten keine Erfahrung mit der Schaffung eines modernen Zweimann-Cockpits, dem Aufbau eines zweimotorigen Flugzeugsystems für 350 Passagiere mit Frachträumen, dem Transport von Containern im Unterdeck, Gepäckablagen in der Passagierkabine und vielem mehr. Deshalb mussten unsere Fachkräfte sehr hart arbeiten, um Erfahrungen aus dem Ausland zu sammeln, mit Fluggesellschaften zusammenzuarbeiten und sich selbst intellektuell weiterzuentwickeln."

Der Rumpf des 1:1-Holzmodells der An-218 in Swjatoschyn, fotografiert 2007. Kurz danach wurde er abgewrackt.
Das Ende der An-218
Ob Antonow tatsächlich schon mit dem Bau der ersten Teile für einen Prototyp der An-218 begonnen hatte, wie es einige Quellen suggerieren, ist nicht ganz klar. Fakt ist jedoch, dass den Ukrainern 1994 endgültig das Geld ausging, um das ehrgeizige – aber auch kostspielige – Programm weiterzuführen, das laut Wownjanko bis dahin etwa 200 bis 300 Millionen US-Dollar verschlungen hatte. Die Regierung in Kiew lehnte die Bitte von Balabujew um zusätzliche finanzielle Unterstützung ab. Die Arbeiten an der An-218 wurden daraufhin Stück für Stück zurückgefahren. Schließlich legte Antonow das Projekt, genau wie die An-180, vollständig auf Eis.
Der erste Großraum-Zweistrahler aus dem Osten starb einen stillen und langsamen Tod. Das 1:1-Modell, das in einem Hangar in Swjatoschyn noch lange die Erinnerung an die An-218 wachhielt, wurde 2007 demontiert und entsorgt.