Der Rostec-Pressetext zum Erstflug der Iljuschin Il-96-400M am 1. November war voll des Lobes für den neuen Jet. Doch das ändert wenig an dem Umstand, dass Russlands Luftfahrtbranche abseits der PR-Blasen eher mit Skepsis auf den runderneuerten Vierstrahler blickt. Ja, es stimmt, es gibt auf der Welt nur sehr wenige Firmen, die in der Lage sind, ein eigenes Großraum-Passagierflugzeug zu bauen – namentlich Airbus und Boeing. Dass die Il-96-400M vor diesem Hintergrund ein Beleg für die "Kompetenz inländischer Designbüros und Flugzeugfabriken" ist, wie Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow unterstrich, kann man durchaus so sehen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.
Flugzeug ohne Kunden
Die andere Seite ist, dass sich in den Airline-Chefetagen niemand ernsthaft für die Il-96-400M interessiert, weder in Russland noch anderswo. Konkrete Aufträge für den Vierstrahler gibt es noch immer keine, dass er jemals in größerer Zahl produziert wird, ist aktuell nicht absehbar. Wahrscheinlicher dürfte ein Nischendasein als Technologieträger sein, der für Russlands Flugzeugbauer den Weg in eine bessere Zukunft ebnen soll. Womöglich kommen ein paar homöopathische Orders für die staatliche VIP-Transportflotte dazu, das höchste der Gefühle wären wohl Bestellungen von Frachtfluggesellschaften. Dass jemals zahlende Passagiere in einer Il-96-400M mitfliegen, scheint vom heutigen Standpunkt aus eher unwahrscheinlich.

Aeroflot flog einst die "alte" Iljuschin Il-96-300, musterte die letzten Exemplare mangels Effizienz aber 2014 aus.
Aeroflot winkt ab
Russlands größte Airline Aeroflot hat der neuen Iljuschin bereits eine kategorische Absage erteilt. In einem Interview mit der Tageszeitung Wedemosti betonte Aeroflot-Chef Sergej Alexandrowski schon vor geraumer Zeit, es sei "irrational, veraltete Technologie in ein kommerziell ineffektives Flugzeug zu integrieren." Außerdem sei die Industrie in Russland nicht in der Lage, die Il-96-400M "in den erforderlichen Mengen zu produzieren", und das Hochfahren der Produktionsmengen auf ein taugliches Niveau sei schlicht "zu teuer". Was Aeroflot stattdessen brauche, sei "ein neues zweimotoriges Flugzeug mit fortschrittlicher Technologie und guter Treibstoffeffizienz", so Alexandrowski.

Zukunftskonzept? Das Gedankenspiel einer zweistrahligen "Il-96neo" hält sich hartnäckig in Russlands Luftfahrtkreisen.
Keimzelle für Neues?
Tatsächlich könnte sich die Il-96-400M auf dem Weg zu einem solchen Flugzeug als Brückenbauerin erweisen, nachdem das gemeinsam mit China verfolgte Projekt CRAIC CR929 sanktionsbedingt darniederliegt. In Russland mehren sich die Stimmen, die einen Umbau der Il-96 von vier auf zwei Triebwerken aufs Tapet bringen. Rostec-Chef Sergei Tschemesow selbst heizte die Debatte diesbezüglich im Oktober wieder an, als er gegenüber der Tageszeitung Iswestija betonte, das Thema stehe "weiter auf der Tagesordnung".

Mit der CR929 versuchten sich China und Russland an einem gemeinsamen Großraumjet. Doch ob daraus noch was wird?
Kernprobleme bleiben
Allerdings fehlt es für eine zweistrahlige "Il-96neo" bis auf Weiteres an einem passenden russischen Triebwerk. Der in Entwicklung befindliche Groß-Turbofan PD-35 wird frühestens 2030 serienreif sein. Zudem müssten die Tragflächen für den Umbau entsprechend umgestaltet werden. Vor allem aber bliebe das Nadelöhr der begrenzten Produktionskapazitäten auch bei einem Il-96-Zweistrahler bestehen – zumal die Industrie in den kommenden Jahren voll mit den Standardrumpf-Programmen Suchoi Superjet und Jakowlew MS-21 beschäftigt sein wird, die ebenfalls noch nicht serienreif sind.