Zwei Jahre - mindestens
Russlands neues Großtriebwerk PD-35 kommt später

Russlands zivile Luftfahrtindustrie bündelt ihre Kräfte – und ist bemüht, klare Verhältnisse zu schaffen. Triebwerke für Kurz- und Mittelstreckenjets haben vorerst Priorität. Für den Widebody-Turbofan PD-35 sind das schlechte Neuigkeiten.

Russlands neues Großtriebwerk PD-35 kommt später
Foto: UEC / Awiadwigatel

Die Kleinen haben Vorrang, das Großtriebwerk muss warten: In den kommenden acht Jahren will Russland nicht weniger als 1.036 neue Passagierflugzeuge bauen, die große Mehrheit davon Jetliner für die Kurz- und Mittelstrecke. Abgesehen davon, dass dieses Ziel vom heutigen Standpunkt aus sehr ambitioniert erscheint, braucht es für die neuen Jets "made in Russia" auch die entsprechende Anzahl an Motoren. Und offenbar hat man in Russland erkannt, dass man vor diesem Hintergrund derzeit nicht auf allen Hochzeiten zugleich tanzen kann. Sprich: Während Entwicklung und Produktion der neuen, kleineren Turbofans PD-8, PD-14 und PS-90A massiv hochfahren sollen, fällt der Widebody-Turbofan PD-35 unter den Tisch – zumindest fürs Erste.

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"Wir hören nicht auf"

Im Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur Tass verkündete Alexander Inosemtsew, Stellvertretender Generaldirektor des Triebwerksbau-Konsortiums UEC (United Engine Corporation), die Entwicklung des PD-35 werde "wegen all der Ereignisse um einige Jahre verschoben." Aufgrund der zu steigernden Fertigungsmengen für PD-8, PD-14 und PS-90A sehe man sich zu diesem Schritt genötigt, unterstrich der Manager. "Die Mittel werden jetzt neu zugewiesen", so Inosemtsew, der ausdrücklich von einer "erzwungenen Maßnahme" sprach – gleichzeitig aber betonte, dass man das Projekt PD-35 nicht aus den Augen verliere: "Wir hören nicht auf."

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Patrick Zwerger
Das PD-35 ist konzipiert für den Einsatz am Langstrecken-Twin CR929. Der kommt aber auch nicht vor 2030.

Frühestens 2029

Erst vor einem Monat hatte der russische Staat 44 Milliarden Rubel (700 Millionen Euro) bereitgestellt, um den heimischen Triebwerksbau voranzutreiben. Da war auch noch vom PD-35 die Rede, von dem bis Ende 2024 ein erster Prototyp zur Verfügung stehen sollte. Daraus wird nun wohl definitiv nichts. Statt einer avisierten Serienreife zwischen 2027 und 2028 soll das PD-35 frühestens 2029 oder 2030 zur Verfügung stehen.

UEC-Awiadwigatel
Ausgangsprodukt für das PD-35 ist das kleinere, für die MS-21-310 entworfene PD-14. Es bildet die Grundlage der künftigen russischen Turbofans.

Großes Triebwerk, große Jets

Das Awiadwigatel PD-35 (die 35 steht für 35 Tonnen Schub) basiert auf dem bereits in Serie gebauten PD-14, besitzt aber einen Fan mit über drei Metern Durchmesser mit Schaufeln aus Verbundwerkstoff und ist primär als Antrieb für den gemeinsam mit China projektierten Langstreckenjet CRAIC CR929 vorgesehen. Dessen Zukunft steht allerdings ebenfalls auf recht wackligen Beinen. Alternativ könnte das PD-35 für eine zweistrahlige Variante der Iljuschin Il-96-400M herhalten. Auch ein etwaiger Nachfolger für die Antonow An-124, Projektname "Slon" (Elefant), wäre ein Kandidat für das Großtriebwerk. All diese Projekte stehen jedoch bis auf Weiteres eher im hinteren Feld der Prioritätenliste.

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