Mit fast anderthalb Jahren Verspätung erhob sich am Dienstag, dem 29. April, auf dem Werksflugplatz des Flugzeugwerks Irkutsk die Jakowlew MS-21-310 in mehrheitlich "russifizierter" Gestalt zu ihrem ersten Testflug in die Lüfte. Der Prototyp mit dem Kennzeichen 73055 war zwar bereits im Dezember 2020 erstmals abgehoben – damals allerdings noch weitestgehend ausgestattet mit Systemen aus dem Westen. Schon damals allerdings hatte das Flugzeug russische Luftfahrtgeschichte geschrieben, als erste MS-21 mit in Russland entwickelten PD-14-Turbofans. Alle vier Prototypen zuvor waren ursprünglich mit PW1400G-Getriebefans von Pratt & Whitney ausgestattet.
Nach einem großflächigen Umbau in Irkutsk absolvierte die 73055 nun ihren zweiten Jungfernflug, der das ehrgeizige Projekt der "Importsubstitution" von Russlands Passagierjet-Hoffnung in die entscheidende Schlussphase einbiegen lässt. Etwa 60 Komponenten, von der Flugsteuerung bis zum Kabineninterieur, müssen die Russen ersetzen, weil sie zuvor von westlichen Zulieferern stammten. Am Ende der Entwicklung soll die Jakowlew MS-21-310rus stehen – ein in weiten Teilen neues Flugzeug, möglichst unabhängig von ausländischen Einflüssen.

Die "Russifizierung" der MS-21 ist ein Mammutprogramm für Russlands Luftfahrtindustrie. Der erste Testflug der umgerüsteten 73055 markiert einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum Ziel.
Meilenstein für MS-21rus
So weit ist man in Irkutsk zwar noch nicht: Dem Vernehmen nach fehlen der jetzt geflogenen 73055 noch immer ein paar neue Komponenten, die bislang keine Freigabe für Flugtests erhielten. Außerdem besitzt diese MS-21 noch keine in Russland gefertigten Kohlefaser-Tragflächen. Dennoch markiert der rund 75-minütige erste Testflug des auf links gedrehten Prototyps einen wichtigen Meilenstein für das Programm. Nach vielen Verzögerungen, Terminverschiebungen und vagen Ankündigungen haben die Verantwortlichen endlich einen handfesten Fortschritt vorzuweisen. "An Bord wurden inländische Avionik, Stromversorgungssysteme, Klimaanlagen und mehr getestet", schrieb die Flugzeugbau-Holding UAC auf Telegram. Die erreichte Geschwindigkeit betrug demnach 580 km/h, die maximale Flughöhe 3.000 Meter. Die vierköpfige Besatzung, bestehend aus zwei Piloten und zwei Flugtestingenieuren, wurde von Jakowlew-Testpilot Alexander Guskow kommandiert.
Insgesamt will die UAC-Tochter Jakowlew nach eigenem Bekunden zwei "alte" MS-21-Prototypen auf den neuen rus-Standard umrüsten und maßgeblich mit diesen beiden Jets das Zulassungsprogramm bestreiten. Bei der zweiten Testmaschine handelt es sich um den sechsten MS-21-Prototyp mit der Testkennung 73057, der 2021 als erste MS-21 mit russischem Verbundflügel aus der Halle gerollt war – damals allerdings noch mit Getriebefans aus den USA in den Motorgondeln. Diese Maschine soll die erste ihrer Art in der finalen russischen Vollversion werden.
Noch nicht ganz russisch
Bei der MS-21rus 73055, die am Dienstag flog, tauschte Jakowlew laut offiziellen Angaben die komplette Bordelektronik, Computer, Schalter, Navigationssysteme und die Funkausrüstung gegen Komponenten russischer Zulieferer aus. Außerdem besitzt das Testflugzeug eine russische APU sowie in Russland hergestellte Klima- und Kabinendrucksysteme, Innenbeleuchtung und Systemkonsolen. "Inländische Komponenten" seien ferner in der Stromversorgung, dem Hydrauliksystem und dem Fahrwerk enthalten, heißt es. Über andere zentrale Bereiche wie die Flugsteuerung – die ursprüngliche MS-21 sollte der weltweit erste kommerzielle Airliner mit aktiven Sidesticks werden, für die Collins Aerospace aus den USA verantwortlich gewesen wäre – verliert Jakowlew kein Wort. Mutmaßlich fehlt der 73055 dafür noch eine Alternative "made in Russia".
Unklar sind ferner die erwarteten Leistungsparameter des "russifizierten" Flugzeugs. Im vergangenen Jahr spekulierten russische Medien, die MS-21-310rus könne nicht einmal annähernd an die Flugleistungen der Originalversion anknüpfen. Anonyme Insider berichteten von rund 5,75 Tonnen Übergewicht bei der neuen Version. Die Reichweite solle nur noch 2.000 Kilometer, die Dienstgipfelhöhe geradezu peinlich anmutende 7.000 Meter betragen. Offizielle Bestätigungen oder ein Dementi dazu gab es nicht.