Russlands neue Passagierjets kommen - aber wann?

Superjet-New und MS-21rus
Russlands neue Passagierjets kommen - aber wann?

Zuletzt aktualisiert am 29.11.2023

Spätestens, seit Russland gegen die Ukraine in den Krieg zog und der Westen Russland im Gegenzug mit Sanktionen überhäufte, steht die zivile Flugzeugindustrie im größten Land der Welt vor einer Mammutaufgabe. Isoliert von der Mithilfe westlicher Zulieferer, müssen die Russen die Zukunft ihrer Passagierluftfahrt komplett selbst in die Hand nehmen. Das bedeutet konkret, dass aktuelle Airliner-Projekte wie die Jakowlew MS-21 und der Suchoi Superjet komplett auf links gekrempelt und die Vielzahl ausländischer Komponenten in beiden Mustern durch einheimische Pendants ersetzt werden müssen – und das nicht erst in ein paar Jahren, sondern am besten gestern.

UAC/Suchoi

Mammutaufgabe für Russland

Damit nicht genug, übersteigen auch die geforderten Produktionszahlen für die neuen Flugzeuge alles, was seit dem Zusammenbruch der UdSSR zahlenmäßig aus den Werkshallen der Flugzeugwerke rollte – und zwar bei Weitem. Allein 270 neue, "russifizierte" MS-21 fordert der Plan der russischen Regierung bis Ende 2030. Dazu kommen 140 – ebenfalls "russifizierte" – Exemplare des Suchoi Superjet sowie 115 neu gebaute Tupolew Tu-214. Erste Verträge mit Flag Carrier Aeroflot und der quasi-staatlichen Leasinggesellschaft Ilyushin Finance sind bereits unterschrieben. Die Regierung greift den Beteiligten nach eigenen Angaben mit "staatlichen Unterstützungsmaßnahmen" unter die Arme und subventioniert beispielsweise Ausbau und Modernisierung beteiligter Fabriken, aber auch die Beschaffung der Flugzeuge selbst.

Was macht der neue Superjet?

Nach wie vor allerdings geht es in all den Plänen, Verträgen und Debatten um mehr oder minder ungelegte Eier. Bis heute hat kein einziger neuer, rein aus russischen Komponenten gefertigter Passagierjet seinen Weg an den Himmel gefunden. Der erste Prototyp des inzwischen als SJ-100 bezeichneten, von westlichen Einflüssen "befreiten" Superjet-Derivats startete zwar am 26. August 2023 zum Erstflug. Allerdings ließ er sich dabei, wie seine älteren Verwandten, von SaM-146-Turbofans des französisch-russischen Joint-Ventures Powerjet antreiben. Das für den SJ-100 vorgesehene Triebwerk Awiadwigatel PD-8 steckt nach wie vor in der Erprobung und hat seinen Weg an den Superjet noch immer nicht gefunden. Ob sich das, wie angekündigt, vor Jahresfrist noch ändert, wird sich zeigen. Die für 2023 geplante Übergabe von zwei SJ-100 an die Aeroflot-Gruppe wurde zumindest schon einmal auf kommendes Jahr verschoben. Man wolle in Sachen Sicherheit keine Risiken eingehen, heißt es von Herstellerseite. Das Testprogramm für das PD-8 falle daher "etwas länger aus" als vorgesehen. Die "Frühestens im dritten Quartal" 2024 sollen die ersten Lieferungen stattfinden, so der neueste Stand. Ende 2024 will man aber trotzdem wie geplant bei 22 ausgelieferten Maschinen stehen.

Rostec

Das Problem mit den Zulieferern

Dass Sicherheit im Flugzeugbau auch in Russland an erster Stelle steht, mag beruhigen – zeigt aber auch die Herausforderungen auf, denen sich die russische Luftfahrtindustrie bei ihrem Mammutprojekt gegenübersieht. Denn mit dem Einbau neuer Triebwerke ist es keinesfalls getan, besteht doch der ursprüngliche Superjet zu rund zwei Dritteln aus nicht-russischen Komponenten. Entsprechend konnte der Staatskonzern Rostec für 2023 keine einzige Auslieferung eines neu gebauten "alten" Superjet vermelden, weil die dafür notwendigen Teile aus dem Westen nicht mehr nach Russland gelangen. Gleichzeitig fehlt es im Land aber vielfach an der notwendigen Infrastruktur von einheimischen Zulieferern, die neu entwickelte Austauschkomponenten – sobald sie zertifiziert sind – im großen Stil produzieren. Auch hier müssen Strukturen erst wiederbelebt, neu auf- und ausgebaut werden, die seit den 1990er-Jahren Schritt für Schritt weggebrochen sind. Mit ein Grund, warum zum Beispiel für die MS-21 der maximale Ausstoß von 72 neuen Flugzeugen pro Jahr erst für 2029 vorgesehen ist.

Wo steht die MS-21-310rus?

Ob das tatsächlich klappt, wird sich zeigen – momentan ist man davon noch sehr weit entfernt. Zwar sollen im Flugzeugwerk Irkutsk gleich mehrere Flugzeuge der neuen Version MS-21-310rus im Bau sein. Doch der Erstflug eines voll auf russische Zutaten umgebauten Flugzeugs ist – nach aktuellem Stand – frühestens für April 2024 vorgesehen. Zu diesem Zweck wird derzeit in Irkutsk die Vorserienmaschine 73057 (Seriennummer 21013) entsprechend umgebaut. Sie war bereits im Dezember 2021 als erste MS-21 mit russischen Kohlefaser-Tragflächen abgehoben – damals noch unter der Kennung 73361 und mit Pratt & Whitney-Getriebefans aus den USA. Später erhielt sie russische PD-14-Triebwerke. Bis sie eine vollwertige MS-21-310rus wird, müssen laut Rostec noch 36 weitere Komponenten aus dem Westen gegen einheimische Pendants ersetzt werden. Darunter finden sich etwa die Hilfsgasturbine (APU), das Kraftstoffsystem, Fahrwerk, Reifen, Hydraulik und Avionik. 33 der 36 Systeme befänden sich aktuell in der Testphase, heißt es aus Russland.

UAC

Frühester Diensteintritt 2025

Bis die Aeroflot-Gruppe als Erstkundin ihre ersten MS-21-310rus erhält, wird also noch etwas Wasser die Wolga hinunterfließen. Schließlich müssen die neuen, russischen Komponenten nicht nur verbaut, sondern auch umfangreich erprobt und zugelassen werden. Am ausgegebenen Ziel, im kommenden Jahr sechs neue MS-21rus an Aeroflot zu übergeben, hält Rostec trotzdem ausdrücklich fest. Allerdings ist die Übergabe jetzt offiziell erst für November oder Dezember 2024 geplant – unmittelbar, nachdem die russische Luftfahrtbehörde Rosawiazija dem neu aufgegleisten Flugzeug grünes Licht in Gestalt einer erweiterten Musterzulassung erteilt hat. In Dienst gehen werden die ersten neuen MS-21 damit so oder so nicht vor 2025.