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Airbus A310-Umbau zum Zero-G-Flugzeug bei Lufthansa Technik

Vom Kanzlerjet zum Parabelflieger
Airbus A310-Umbau zum Zero-G-Flugzeug bei Lufthansa Technik

Seit mehr als einem Jahr fliegt ein ganz besonderer Airbus A310 bei der französischen Firma Novespace im Dienst der Wissenschaft. Lufthansa Technik gibt erstmals einen detaillierten Einblick in die aufwendigen Umbauarbeiten.

Airbus A310-Umbau zum Zero-G-Flugzeug bei Lufthansa Technik

Kabineneinrichtung raus, Schaumstoffmatten rein: Es klingt zunächst nicht nach der allergrößten Herausforderung, aus einem Airbus A310 der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums ein Parabelflugzeug zu machen. So denkt auch Benjamin Steinbeck, als er im Sommer vor zwei Jahren die Projektleitung für das Zero-G-Flugzeug für Novespace bei Lufthansa Technik in Hamburg übernimmt. „Wie kompliziert das Ganze wirklich ist, haben wir erst nach einer Weile gemerkt“, sagt der Senior Engineer. Insgesamt neun Monate dauern die Arbeiten. Der Grund dafür liegt in der bewegten Geschichte eben dieser A310.

1989 legt sich die damalige DDR-Staatsfluggesellschaft Interflug drei A310 zu, die sie für Langstreckenflüge nach Kuba nutzt. Nach der Wiedervereinigung gehen sie in den Bestand der Luftwaffe über. Auf zwei dieser A310 warten besondere Aufgaben: Sie werden bei Lufthansa Technik für den Regierungsflugbetrieb umgebaut. Eine davon ist die 10+21 „Konrad Adenauer“. In den vorderen Teil der Kabine kommt 1992 ein Schlafzimmer mit zwei Betten, ein Bad mit Dusche, ein Aufenthalts- und Arbeitsbereich für zwölf Personen und ein kleines Konferenzzimmer, Satellitentelefon und Fax inklusive. Der hintere Teil wird mit 22 Business-Class- und 57 Economy-Class-Sitzen ausgestattet.

Ab 1993 bringt die 10+21 die Bundeskanzler Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel sowie verschiedene Bundespräsidenten und Minister zu Staatsbesuchen in alle Welt. Auch für Rückführungs- oder Evakuierungsflüge kommt sie zum Einsatz, im Sommer 2006 zum Beispiel, als deutsche und EU-Bürger wegen der Auseinandersetzungen zwischen Hisbollah und Israel aus dem Libanon zurückgeholt werden.

Am 30. Juni 2014 hat die 10+21 ihren letzten Einsatz, ersetzt wird sie durch eine jüngere, größere und schnellere A340. Novespace kauft den Regierungsflieger für 2,5 Millionen Euro. „Das Flugzeug hatte nur rund 7000 Flugzyklen und war sehr gut durch Lufthansa Technik gewartet“, sagt Thierry Gharib, Novespace-Geschäftsführer.

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Einmal zurück auf den Werkszustand

Doch vor dem Umbau zum Parabelflieger gibt es ein Problem. Da das Flugzeug jahrelang unter militärischer Kennung flog, ist für die europäische Agentur für Flugsicherheit EASA nicht ersichtlich, welche Modifikationen einst an der A310 vorgenommen wurden. „Die EASA hat verlangt, dass wir zurück auf die Musterzulassung gehen“, erklärt Ralf Riemann, Leiter Airworthiness für VIP- und Special-Mission-Flugzeuge bei Lufthansa Technik. Das Flugzeug muss also in den Werkszustand zurückversetzt werden, bevor der Umbau beginnen kann. „So etwas gab es vorher in diesem Umfang noch nicht“, sagt Riemann.

Steinbeck und sein Team müssen zunächst die 1300 Teilmodifi­kationen durchforsten, die im Lauf der vergangenen 20 Jahre am Regierungsflugzeug vorgenommen wurden. Beispielsweise werden an der Primärstruktur, also hauptsächlich der Rumpf­konstruk­tion, Spante und Stringer für die Aufnahme der speziellen Kabineneinrichtung umgebaut, Halterungen für Gepäckfächer entfernt, rund 30 zusätzliche Sitzschienen eingezogen, Antennen auf dem Rumpf montiert.

Rund drei Wochen dauert es allein, festzuhalten, was an dem Flugzeug nicht original ist. „Natürlich wurde der Umbau damals dokumentiert. Doch die Dokumentation aus dem Jahr 1992 ist nicht so, wie wir es von heute kennen“, sagt Steinbeck. Die Bauvorschriften haben sich geändert, teilweise sind die Notizen handschriftlich und unleserlich. Hilfreich ist es da, dass alte Kollegen aktiviert werden können, die damals am Umbau beteiligt waren. Rund 30 Mitarbeiter aus dem Design-Engineering-Team arbeiten an dem Projekt. Unterstützt werden sie von den Elbe Flugzeugwerken in Dresden, die beim Umbau der A310 zum Kanzlerflugzeug dabei waren. Während Steinbeck noch die Modifikationen mit dem Original abgleicht, wird die Kabineneinrichtung bis auf Bordküchen und -toiletten ausgebaut. Die geschichtsträchtigen Möbel gehören Novespace und sind momentan in Hamburg eingelagert. Sie sollen aber als Ausstellungsstücke erhalten bleiben.

Am Ende von Steinbecks Bestandsaufnahme bleiben noch 120 größere Modifikationen, die rückgerüstet und verändert werden, darunter die Klimaanlage, das Vakuumsystem und einige Strukturbauteile. Die A310 wird bis auf die tragenden Strukturen auseinandergenommen, untersucht, Teile werden wo nötig repariert oder erneuert und getestet. Am Ende wird der ehemalige Regierungsflieger nach den Richtlinien für Zivilflugzeuge wieder zusammengesetzt.

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Schaumstoffmatten zum Schutz vor Verletzungen

Danach beginnt für Lufthansa Technik der einfachere Teil des Projekts: die Neuausstattung der Kabine des künftigen Parabelflugzeugs. Die 20 Meter lange Test Area wird an den Seiten und am Boden mit Schaumstoffmatten ausgelegt, damit sich angehende Astronauten und Wissenschaftler bei den bis zu 22 Sekunden dauernden Phasen der Schwerelosigkeit nicht verletzen. „Die Matten sind mit Kunstleder überzogen – und daher leicht zu reinigen“, sagt Steinbeck und grinst. Auch die Decke ist mit 40 Millimeter dickem Schaum gepolstert, zwei Gurte ermöglichen sicheren Halt. Zudem wird auf einer Höhe von 1,4 Metern eine Stange in der Flugzeugstruktur verankert. Große Netze schließen die Experimentierzone vorne und hinten ab. 

Da die Fenster in der Test Area abgedunkelt sind, sorgen leistungsstarke LEDs für eine gute Ausleuchtung der wissenschaftlichen Experimente, die in den Sitzschienen auf Racks befestigt werden. Für besondere Versuchsanordnungen wird ein Fenster entnommen und durch ein Ventil ersetzt. Im Cargobereich werden zehn Converter installiert, die rund 30 Kilowatt für Experimente zur Verfügung stellen. Da die Bordküchen stillgelegt sind, reicht die Energie der Triebwerke dafür aus. Und weil das Flugzeug durch 53 im hinteren Teil der Kabine verbleibende Originalsitze hecklastig ist, kommen schließlich noch zwei Tonnen Stahlplatten als Kontergewicht in den Frachtraum.

An der Struktur der A310 müssen die Ingenieure übrigens keine Modifikationen vornehmen, um sie für Parabelflüge tauglich zu machen. „Die Lasten steigen nicht über 1,8 g“, sagt Riemann. Das könne es auch im normalen Reiseflug geben, beispielsweise bei Turbulenzen. Dennoch sind die häufigen Lastwechsel für das Flugzeug strapaziös: Bei einem Flug mit 30 Parabeln werden die Flügel so stark beansprucht wie bei 50 normalen Flügen. Auch die Triebwerke werden stärker belastet, eine Parabel entspricht einem kompletten Flugzyklus. „Deshalb führen wir 50-mal häufiger Inspektionen durch, als das bei Verkehrsflugzeugen üblich ist“, erklärt Gharib.

Mit der A310 Zero-G geflogen ist der Designingenieur Steinbeck übrigens noch nicht, auch wenn es ihn nach der intensiven Beschäftigung mit dem Flugzeug reizt. „Bisher gab es noch keine Gelegenheit dazu“, sagt er. 15 bis 20 Jahre hat er dafür noch Zeit – so lange soll die ehemalige 10+21 „Konrad Adenauer“ bei Novespace noch fliegen.

Parabelflug

Neun wissenschaftliche Kampagnen mit jeweils drei bis vier Flügen hat die A310 Zero-G von Novespace seit Ende April 2015 absolviert, hinzu kommen noch 14 kommerzielle Flüge. Zuletzt war das Flugzeug, das in Bordeaux stationiert ist, im September mit 15 Experimenten für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterwegs. Um eine Parabel zu fliegen, bringen die Piloten das Flugzeug ausgehend von sechs Kilometern Höhe in einen 45°-Steigflug auf 7,5 Kilometer.

Dann werden die Triebwerke gedrosselt und der Steuerknüppel nach vorne gedrückt. Das Flugzeug steigt zunächst weiter bis auf 8,5 Kilometer, bevor es zu sinken beginnt. In dieser Phase wirkt nur noch die Schwerkraft, die Insassen befinden sich im freien Fall. Auf einer Höhe von 7,5 Kilometern fangen die Piloten das Flugzeug wieder ab.

Technische Daten

A310 Zero-G

Länge:
 46,43 m
Höhe: 15,80 m 
Spannweite: 43,90 m
Rumpfdurchmesser: 5,64 m
Gewicht: 157 t
Triebwerke: 2 General Electric CF6-80

Test Area: 100 m2 (20 x 5 m)
maximale Deckenhöhe: 2,25 m
elektrische Versorgung: 23 kW, 220 V bei 50 Hz

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