„Es wird uns nicht erlaubt sein, das Ziel zu verpassen“

Axel Krein von Clean Aviation
„Es wird uns nicht erlaubt sein, das Ziel zu verpassen“

Veröffentlicht am 12.06.2023
„Es wird uns nicht erlaubt sein, das Ziel zu verpassen“
Foto: Clean Aviation
Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel, Netto-Null-CO2-Emissionen bis 2050: Herr Krein, kann die Luftfahrtbranche all diese Herausforderungen meistern?

Wir haben keine Wahl. Bei unserem Annual Forum im März hat sich gezeigt, dass das Ziel an sich nicht infrage gestellt wird. Trotz aller Anstrengungen, die die aktuellen Herausforderungen und Probleme erfordern, ist es unvermeidbar, die Treibhausgas-Emissionen parallel zu reduzieren. Das ist auch möglich.

Und wie?

In Clean Aviation haben wir zusammen mit unseren Partnern einen Fahrplan entwickelt, der von 2050 ausgehend, wo das Ziel bei null Treibhausgas-Emissionen liegt, konkrete Handlungsoptionen aufzeigt, was bis dahin getan werden muss. Wir starten also nicht in blindem Aktionismus.

Ist dieses Ziel, Netto-Null CO₂-Emissionen 2050, denn realistisch?

Ich bin überzeugt, dass es machbar ist. Es ist eine große Herausforderung und alles andere als gegeben. Aber mit der vorhandenen Entschlossenheit, der Energie, den verfügbaren Finanzmitteln und den nötigen technischen und Managementkompetenzen haben wir alle Zutaten, damit es klappt.

Was würde passieren, wenn die Luftfahrt es nicht schafft?

Es wird uns nicht erlaubt sein, das Ziel zu verpassen! Ein Beispiel: Wenn wir die 30 bis 50 Prozent Effizienzsteigerung bei Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen, also dem typischen A320-Nachfolger, sowie bei Regionalflugzeugen nicht schaffen würden, würden die europäischen Gesetzgeber den Flugverkehr vermutlich dahingehend regulieren, dass er stark reduziert werden müsste. Dies könnte entweder durch ein direktes Verbot von bestimmten Kurzstreckenflügen geschehen oder auch durch steigende Kohlenstoffsteuern, die solche Flüge so teuer machen würden, dass automatisch weniger geflogen wird – natürlich mit drastisch negativen Auswirkungen auf weltweite Geschäftsbeziehungen und auch auf unsere sozialen Kontakte zu Familienmitgliedern und Freunden, die weiter entfernt von uns wohnen.

Worauf sind Sie bei Clean Aviation am meisten gespannt?

Ich bin sehr positiv, was die Struktur des Programms angeht. 60 Prozent der Treibhausgase werden im Regional-, Kurz- und Mittelstreckenbereich erzeugt und dies ist exakt der Fokus von Clean Aviation. Damit wird ein Großteil der Umweltherausforderungen des Luftverkehrs adressiert. Wir haben drei Säulen bei Clean Aviation, die sich zum einen auf Effizienzsteigerung und zum anderen auf den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger konzentrieren. Die erste Säule fokussiert sich auf hybrid-elektrische Regionalflugzeuge, das Ziel sind hier 50 Prozent mehr Effizienz. Bei der zweiten Säule, der Kurz- und Mittelstrecke, sind 50 Prozent Effizienzsteigerung in diesem knappen Zeitraum nicht zu schaffen. 30 Prozent sind in diesem Segment sehr ambitioniert, aber nicht unerreichbar. Die dritte Säule ist der Ersatz von Kerosin durch Wasserstoff. Betrachtet man die Umweltbilanz, aber auch Kosten und Energieeffizienz, ist Wasserstoff signifikant besser geeignet als beispielsweise sogenanntes synthetisches Kerosin. E-Fuels, welche kurzfristig bis mittelfristig einen positiven Beitrag zur Umweltverträglichkeit des Luftverkehrs leisten, werden langfristig wohl eher durch Wasserstoff als Energieträger ersetzt. Flugzeuge, die Wasserstoff nutzen, erfordern aber ganz andere Architekturen. Eine der Herausforderungen ist zum Beispiel die Integration der Tanks.

Clean Aviation unterstützt sehr viel disruptivere Technologien, als das noch unter den Vorgängerprogrammen der Fall war. Sind die Entwicklungen aus Clean Sky 1 und Clean Sky 2 damit obsolet?

Mitnichten. Wir bauen sehr stark auf Clean Sky 1 und Clean Sky 2 auf. Das vielleicht prominenteste Beispiel ist das Open-Rotor-Triebwerk. Mit jüngeren Technologieentwicklungen beim Triebwerksschaufeldesign sowie bei der Schaufelproduktion gibt es Möglichkeiten, bisher ungelöste technischen Probleme zu überwinden. Die Chancen stehen gut, dass es für die nächste Single-Aisle-Generation einen Open Rotor als Triebwerksoption geben wird. Die anderen beiden Alternativen sind der sogenannte UltraFan sowie eine noch ambitioniertere Lösung mit Wassereinspritzung, der sogenannte Water-Enhanced-Turbofan. Wir werden sehen, welche Technologie sich am Ende durchsetzen wird. Die Grundlagen für diese Technologiestränge im Triebwerksbereich wurden in Clean Sky 1 und Clean Sky 2 gelegt, davon profitieren wir jetzt bei Clean Aviation.

Im Vergleich zu Clean Sky 2 wurde der Fokus bei Clean Aviation eingegrenzt. Welche Unterschiede gibt es noch?

Clean Sky 2 war mehr von unten nach oben getrieben, durch eine Vielzahl von Technologieoptionen. Jetzt ist es andersherum. Unser Fokus liegt von Anfang an darauf, die Technologien zu priorisieren, die wahrscheinlich den größten Gewinn bringen. Der zweite große Unterschied, der mit dem diesem Top-Down-Ansatz einhergeht, ist die finale Auswirkung des Programms. Wir evaluieren alle Technologievorschläge entlang der Frage: Was bringen sie auf Flugzeug-Niveau? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie es ins nächste Flugzeugprodukt schaffen? Zudem ist Clean Aviation ein offener Wettbewerb für jeden; große und kleine Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen und Universitäten müssen sich mit exzellenten Vorschlägen bewerben. Einige der Vorschläge von etablierten Unternehmen haben es zum Beispiel in unserer ersten Auswahlrunde nicht geschafft, weil sie in Summe nicht gut genug waren. Im Clean-Aviation-Programm sind wir nun sehr erfolgsfokussiert, um in dem uns zur Verfügung stehenden Zeitraum wirklich einen Unterschied zu machen.

Das Budget von Clean Aviation ist mit 4,1 Milliarden Euro vergleichbar mit Clean Sky 2. Reicht das?

In Summe ist dieser Betrag nicht ausreichend. Vor drei Jahren haben wir grob zusammengerechnet, welcher Betrag nötig wäre, um all die notwendigen Arbeiten in Europa zu finanzieren. Wir kamen auf circa zwölf Milliarden Euro. Wir haben mit den verschiedenen Beteiligten über ihre Beiträge dazu gesprochen und es ergaben sich für Clean Aviation 4,1 Milliarden Euro, davon 1,7 Milliarden Euro von der Europäischen Kommission. Die notwendigen zusätzlichen circa acht Milliarden Euro müssen von anderen Innovationsprogrammen auf Mitgliedsstaatenebene bzw. regionaler Ebene in Europa sowie durch Eigenmittel der Industrie aufgebracht werden. Die große Herausforderung liegt jetzt in der Synchronisation aller dieser Technologievorhaben.

Wie vermeidet man Doppelarbeit in anderen Programmen und Initiativen, wie zum Beispiel im deutschen Luftfahrtforschungsprogramm LuFo?

Diese Programme und Initiativen fliegen momentan noch nicht in Formation. Das ist nicht zielführend und könnte potenziell große negative Auswirkungen für Europa bedeuten. Das muss geändert werden. Wir haben einige positive Ergebnisse. Bei unserem Annual Forum haben wir zum Beispiel eine Absichtserklärung mit der Clean-Hydrogen-Partnerschaft unterzeichnet. Wir haben nun einen gemeinsamen technischen Fahrplan, wir haben ein gemeinsames Verständnis, wie wir ihn umsetzen wollen. Wir sind aber auch in die nötige Tiefe gegangen, sodass die Interdependenzen zwischen den Projekten berücksichtigt werden. Was ist zu welchem Zeitpunkt lieferbar? Wie passt eine Errungenschaft aus Clean Hydrogen in einen Demonstrator, der von Clean Aviation umgesetzt wird? Wir führen natürlich auch Gespräche mit anderen Innovationsprogrammen. Es gibt hier ein grundlegendes Verständnis innerhalb Europas dafür, dass eine engere Zusammenarbeit zwischen den Programmen vorteilhaft ist. Wenn es aber an die konkrete Umsetzung geht, wird es herausfordernd.

Sind mit dem Budget alle Ziele erreichbar?

Wir wissen es noch nicht. Die technische Arbeit an den ersten Clean-Aviation-Projekten hat begonnen, das wird bis 2025/2026 dauern. Bis Ende 2024/Anfang 2025 müssen wir entscheiden, welche Demonstratoren wir in Phase 2 des Programms umsetzen werden. Wir müssen dann auch entscheiden, ob die noch verfügbaren Fördermittel von rund 900 Millionen Euro im Clean-Aviation-Programm für Demonstratoren in allen Bereichen ausreichen.

Wagen Sie einen Blick in die Glaskugel: Wie fliegen wir 2050?

Für einen Passagier wird es auf den ersten Blick im Kurz- und Mittelstreckenbereich voraussichtlich keinen ganz großen Unterschied machen. Es mag eine schönere, funktionalere Kabine geben, ein besseres Layout, aber ein neues Kurz- und Mittelstrecken-Flugzeug wird optisch nicht so viel anders im Vergleich zu heute aussehen. Der gravierende Unterschied wird jedoch in einer radikal verbesserten Effizienz und bei der Nutzung von umweltverträglichen Energieträgern liegen. Langstreckenflugzeuge dagegen werden sich vermutlich auch optisch signifikant verändern und auf einer anderen Architektur beruhen, hier scheinen Nurflüglerkonzepte die besten Perspektiven zu haben. Beide, Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge, wie auch Langstreckenflugzeuge werden jedoch klimaneutral sein! Wir werden ein Flugzeug betreten und uns nicht mehr für die Umweltverschmutzung schämen müssen. Wir werden uns nicht mehr für etwas schuldig fühlen müssen, das für weltweite Geschäftsbeziehungen und insbesondere auch für unsere privaten Kontakte unbedingt notwendig ist.