Minimale Flugzeit, minimaler Treibstoffverbrauch, minimale Betriebskosten: Flugrouten werden unter Berücksichtigung des aktuellen Wetters in der Regel nach diesen Kriterien geplant. Das Gute daran: Je niedriger der Treibstoffverbrauch, desto geringer auch der CO2-Ausstoß. Ökonomie und Ökologie gehen hier Hand in Hand. Oder doch nicht? Bisher unberücksichtigt bleiben Nicht-CO2-Effekte. Dazu gehören langlebige Kondensstreifen, Stickoxid-induzierte Ozonveränderungen und Effekte durch Partikelemissionen. Gemäß einer internationalen Studie unter Leitung der Manchester Metropolitan University mit Beteiligung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) aus dem Jahr 2020 sind diese Nicht-CO2-Effekte für zwei Drittel der Klimawirkung der Luftfahrt verantwortlich.

Klimaoptimierte Flugrouten sind eine Herausforderung für die Flugsicherung. Neue Verfahren werden beim DLR erprobt.
Die richtige Balance
Neben technischen Verbesserungen an Flugzeugen sowie der Verwendung nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) sind klimaoptimierte Flugrouten eine mögliche Lösung, um diese Nicht-CO2-Effekte zu reduzieren. Im Fokus steht dabei die Verringerung von langlebigen Kondensstreifen. Sie entstehen in eisübersättigten Regionen (ice supersaturated regions, ISSR), meist in der oberen Troposphäre. Denn in diesen Luftschichten mit einer relativen Luftfeuchtigkeit von mehr als 100 Prozent können sie mehrere Stunden überdauern und sich zu Zirruswolken ausbreiten. ISSR können eine horizontale Ausdehnung von bis zu 450 Kilometern und eine Dicke von 250 bis 500 Metern haben. Kondensstreifen-Zirren können wärmen oder kühlen: In der Nacht verringern sie die Abkühlung der Erdoberfläche, in den Morgenstunden reflektieren sie die Sonnenstrahlen ins All zurück und verhindern eine Erwärmung. Im globalen Mittel schreibt die Forschung ihnen jedoch eine wärmende Wirkung zu.

Was geschieht im Abgasstrahl eines Verkehrsflugzeuges?
Eis vermeiden – ohne mehr Sprit zu verbrauchen
Die Idee klimaoptimierter Flugrouten: eisübersättigte Regionen vermeiden und bevorzugt darunter hinwegfliegen. Das kann jedoch dazu führen, dass mehr Treibstoff verbraucht und mehr CO2 erzeugt wird. Die Herausforderung liegt darin, den Treibstoffverbrauch und die abgeschätzte, gesamte Klimawirkung eines Fluges zugleich zu optimieren. DLR-Experten empfehlen, in niedrigeren Flughöhen auch langsamer zu fliegen.
Erste Studien waren vielversprechend
Klimaoptimierte Flugführung könnte die Gesamtklimawirkung deutlich reduzieren, darauf weisen numerische Machbarkeitsstudien für den europäischen Flugverkehr hin. Das EU-geförderte FlyATM4E-Projekt (2020 bis 2022) unter der Leitung des DLR kommt auf 20 bis 50 Prozent. Die Unsicherheit ist hoch, es bedarf weiterer Forschung. Die Airlines müssten wegen der längeren Strecken bzw. Flughöhen, die für den Treibstoffverbrauch nicht optimal sind, höhere Kosten in Kauf nehmen. Schätzungen gehen aber von weniger als einem Prozent der direkten Betriebskosten aus.

Zwei entscheidende Faktoren zur Klimawirkung: Flugroute und Flughöhe.
Mit Satellitenbildern zum ersten Test
Im echten Flugverkehr wurde das Konzept erstmals 2021 im Rahmen des Contrail-Avoidance-Experiments vom DLR und vom Maastricht Upper Area Control Centre (MUAC) untersucht. Von Januar bis Oktober wurden insgesamt 209 Flugbahnen in den Versuch einbezogen. Dabei interpretierten die Forscher zunächst die Wettervorhersage des Deutschen Wetterdiensts (DWD) hinsichtlich eisübersättigter Regionen und Wolken und gaben den Lotsen Anweisungen, potenzielle Kondensstreifengebiete in einem vertikalen Abstand von bis zu 600 Metern (2000 Fuß) zu über- oder unterfliegen. Mithilfe von Satellitenbildern wurde überprüft, ob tatsächlich weniger Kondensstreifen zu erkennen waren. Für eine bessere Vergleichbarkeit wurden nur jeden zweiten Tag Flüge umgeleitet.

Dieses Satellitenbild der ESA zeigt Kondensstreifen über der Nordsee.
Wenige Flüge, viel Potenzial
"Die Versuchsreihe zeigt uns, dass es prinzipiell möglich ist, beim realen Flugverkehr klimafreundlichere Routen und Höhen zu nutzen", so Prof. Robert Sausen vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre. Die Daten hätten belegt, dass Kondensstreifen vermieden wurden. Zudem seien Betriebsverfahren erfolgreich eingeführt worden. "Das Experiment macht deutlich, welche technischen und operationellen Herausforderungen zu meistern sind, wenn man derartige Maßnahmen im größeren Umfang durchführen möchte", so Prof. Sausen.
Die Datengrundlage ist ein Problem
Eines der größten Probleme ist derzeit die unzuverlässige Prognose von Gebieten, in denen langlebige Kondensstreifen zu erwarten sind. Dazu müsse das Wettermodell verlässlich vorhersagen, ob die relative Feuchte in den Flugniveaus über der Eissättigung liegt, so das DLR. Um die Feuchtevorhersage zu verbessern, seien Messungen durch Linienflugzeuge mit entsprechenden Sensoren in der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre eine wesentliche Voraussetzung. Wichtig seien auch neue Ansätze der Flugsicherung, darunter eine stärkere Automatisierung oder sektorlose Luftverkehrsführung, um die höhere Arbeitslast der Lotsen aufzufangen. Aus regulatorischer Sicht muss die EU-Richtlinie zum Emissionshandel überarbeitet werden, um auch Nicht-CO2-Emissionen zu erfassen. Denn Airlines brauchen Anreize, um klimaoptimierte Routen zu fliegen. Noch ist zudem unklar, wie sich die Einschränkung der Luftraumkapazität auswirkt, wenn Flüge zur Vermeidung von Kondensstreifen umgeleitet werden.
Wenige Streifen sorgen für meiste Klimawirkung
Trotz offener Fragen ist eine Umsetzung nach Angaben des DLR bereits in wenigen Jahren denkbar – wenn man sich zunächst auf wenige Flüge konzentriert, die das größte Potenzial aufweisen. "Nur vier Prozent der Flugrouten tragen zu wärmenden Kondensstreifen bei", sagte Prof. Christiane Voigt vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre beim Deutschen Luft- und Raumfahrtkongress im September 2023 in Stuttgart. Dabei handelt es sich vor allem um Langstreckenflüge über den Nordatlantik. Dann gibt es noch sogenannte Big Hits, das sind jene Kondensstreifen, welche die stärksten wärmenden Effekte haben. Laut DLR kommen sie nur bei ein bis zwei Prozent aller geflogenen Strecken vor. Untersuchungen deuten darauf hin, dass sie für rund 80 Prozent der Erwärmung verantwortlich sind.

Auch über dem Nordatlantik treten Kondensstreifen in großer Zahl auf, wie dieses Bild der NASA zeigt.
Flüge über Deutschland
Mit dem deutschen LuFo-Verbundprojekt D-KULT (Demonstrator Klima- und Umweltfreundlicher LuftTransport) geht die Forschung zu klimaoptimierten Flugrouten weiter. Dabei sollen Flüge so geplant und durchgeführt werden, dass sie eine möglichst geringe Klimawirkung haben. D-KULT ist auf drei Jahre angelegt und läuft bis Mai 2025. Beteiligt sind neben dem DLR unter anderem die Deutsche Flugsicherung (DFS), der DWD, Jeppesen, Lufthansa, Airbus Operations und MUAC. Entwickelt werden sollen bessere ISSR-Vorhersagen, aber auch eine Erweiterung der Flugplanungs-Tools für Airlines um eine Klimaoptimierung. Vorgesehen ist neben Simulationen auch ein Probebetrieb, innerhalb dessen Flüge im oberen Luftraum über Deutschland umgeleitet werden. Dann heißen die Kriterien für die Wahl der Flugroute: minimale CO2- und Nicht-CO2-Emissionen, minimaler Lärm und minimale Betriebskosten.

Aus Kondensstreifen können sich Zirruswolken entwickeln, die zur Erderwärmung beitragen.