Frisch restauriert und in Topform: Antonow An-2 auf Usedom

Sternmotor-Highlight auf Usedom
Antonow An-2: Ein(e) Colt für alle Fälle

Veröffentlicht am 01.09.2024

Sommer, Sonne, Sandstrand. Das verbindet man unweigerlich mit Usedom. Interessiert man sich für Luftfahrt, bietet die Insel noch einiges mehr: Im Nordwesten gibt es in Peenemünde die einstige Heeresversuchsanstalt, die seit 1935 in Betrieb war und ab 1938 um die Versuchsstelle der Luftwaffe erweitert wurde. Auf dem angrenzenden Flugplatz wurden die ersten Tests mit der V1 und V2 gemacht. Nach dem Krieg waren dort MiGs der NVA stationiert. Auf der anderen Seite der Insel, nahe der Grenze zu Polen, wird man auch fündig, denn auf dem 1925 eröffneten Flugplatz Heringsdorf befindet sich heute ein einmaliges Luftfahrtmuseum. Vor vielen Jahren von Volker Schülke (†) gegründet, gehört die Luftfahrtsammlung heute zum Luftraum Süd und hat am 1. Mai 2024 nach vier Jahren Pause wieder die Tore geöffnet. Von Mai bis Ende September ist die Sammlung täglich, außer dienstags, von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Auch im April und Oktober ist die Ausstellung geöffnet, jedoch mit abweichenden Öffnungszeiten und dienstags und mittwochs ist Ruhetag.

Philipp Prinzing

Luftfahrtprogramm auf Usedom

Es ist ein besonderer Ort in einem historischen Hangar, der sowohl für Luftfahrtbegeisterte als auch für Laien viel zu bieten hat. Die stetige Weiterentwicklung des Informationsangebots, des Flugbetriebs sowie der Flugzeugflotte läuft seit der Übernahme sichtbar. Um auch außerhalb der Urlaubs- und Flugsaison etwas zu bieten, sind Fachvorträge mit renommierten Vortragenden aus der Klassiker- und Technikszene geplant. Auch aktuelle Themen rund um die Luftfahrt sollen nach und nach ins Programm aufgenommen werden. Weiterhin wird es zukünftig auch immer mal Flugbetrieb geben, der im Vorfeld auf der Website angekündigt wird. Der museumseigene Shop öffnete am 1. Juni wieder mit spannenden Angeboten und auch bei den gezeigten Flugzeugen hat sich etwas getan. Zu den zuletzt bekannten Exponaten, wie Messerschmitt Bf 109 und Bf 108, Focke-Wulf Fw 190, Fieseler Storch, Bücker Jungmann und Jungmeister sowie Polikarpow Po 2 ist nun noch eine top-restaurierte Antonow An-2 (D-FOFM), NATO-Codename Colt, dazugekommen.

Philipp Prinzing

Karrierebeginn bei der Kasernierten Volkspolizei

Ihre Geschichte beginnt vor 72 Jahren, im Jahr 1952, als der von Oleg Antonow entworfene Doppeldecker – es wird auch oft davon gesprochen, dass es ein Eineinhalb-Decker ist – mit der Werknummer 12802 als vermutlich eines der ersten 61 in Kiew im Flugzeugwerk Nr. 472 gebauten Exemplare die Werkshallen verließ (insgesamt wurden 5450 in der Ukraine gebaut). Ab 1960 kamen die An-2 aus der Produktion von PZL-Mielec in Polen. Die Abnahme der 12802 erfolgte am 29. August 1952 durch Mitarbeiter des russischen Luftfahrtministeriums und im gleichen Atemzug erfolgte die Übergabe an die Kasernierte Volkspolizei (KVP), dem offiziellen Vorläufer der Nationalen Volksarmee. Dort kam sie bei der VP-Luft (Volkspolizei Luft) in Cottbus zum Einsatz und trug auf dem Rumpf noch den Sowjetstern. Der erste verzeichnete Einsatz der 802 bei der KVP war erst am 22. September 1953. Vorher ist sie vermutlich rund 15 Stunden bei Überführungsflügen in der Luft gewesen.

Bei der VP-Luft waren die Haupteinsatzflugplätze Strausberg, Brandenburg und Cottbus. Hauptzweck war das Absetzen von Fallschirmspringern. Die Antonows wurden von ihren Nutzerstaaten für eine Vielzahl von Einsätzen verwendet. Dazu gehörten Land- und Forstwirtschaftsflüge, Transport- und Rettungseinsätze sowie die Nutzung als Forschungsflugzeug. Noch heute erfreut sich das Arbeitspferd großer Beliebtheit und fliegt noch in einigen Staaten im offiziellen Dienst. Die 12802 flog verschiedene Einsätze, über die trotz der vorhandenen Logbücher leider nichts bekannt ist. Ende 1954 wurde ihr Verband in Transport-Schleppstaffel umbenannt. 1956 wurden die roten Sterne am Rumpf gegen weiß umrandete Rauten ohne Emblem getauscht und die 802 versah ihren Dienst fortan als Teil der Nationalen Volksarmee bei der Transportfliegerschule in Dessau. Ab 1958 folgten Einsätze bei der Transport- und Verbindungsfliegerstaffel 25 bis Anfang der 1970er Jahre.

Philipp Prinzing

Nach dem Dienstende direkt in private Hände

Zwischen 1972 und 73 ging sie bis zu ihrem Dienstende im Jahr 1990 an die TAS-25 (Transportfliegerausbildungsstaffel) und TAS-45. Dabei war sie auch für einige Zeit an ihrem heutigen Standort in Heringsdorf, damals Garz, stationiert. Bei einer ersten Überholung im Dienst der Nationalen Volksarmee bekam sie auch ihren bekannten olivgrünen Anstrich mit den typischen Emblemen aus Raute mit dem gelben/goldenen Ährenkranz, in dem sich ein Hammer und ein Zirkel in gelber Farbe befinden. Ihre militärische Karriere endete 1990 bei der TAS-45 am Flugplatz Kamenz. Hier diente sie als Schulflugzeug und genoss als Ur-Anna, aufgrund des kleinen Höhenleitwerks, einen speziellen Ruf, erfordert das Leitwerk doch eine präzisere Schwerpunktberechnung als bei später gebauten Annas, bei denen einige strukturelle Änderungen vorgenommen wurden. Der 12802 erging es besser als manch anderen aktiven oder ehemaligen Militärmaschinen. Denn meist wurden diese noch während oder spätestens nach ihrer Dienstzeit verschrottet. Dass die 12802 nach der Wende in private Hände ging, ist ziemlich ungewöhnlich, denn ihre Zeit war eigentlich gekommen. Sie hatte tatsächlich vom Anfang der NVA bis zum Ende der DDR ihren fliegerischen Dienst versehen. Als die 802 auf den zivilen Markt kam, schlug ein bis heute gut bekannter Sammler von historischen Flugzeugen zu. Josef Koch mit seinem fliegenden Museum war ab 1990 der neue Eigner des Veteranen und flog mit ihr durch ganz Europa.

Philipp Prinzing

Umfangreicher Restaurierung

Als 2021 der Verkauf der Sammlung erfolgte, wechselte die Antonow erneut den Besitzer und kam zur Sammlung von Karl Grimminger (Luftraum Süd). In den folgenden Monaten flog die Anna wieder viel mehr. Der neue Eigner wollte sie erst einmal auf Herz und Nieren testen, obwohl eigentlich klar war, dass größere Arbeiten anstehen, da das Flugzeug in einen Topzustand versetzt werden sollte. So flog sie in ihrer letzten Lackierung (die eine sehr verwitterte Version einer NVA-Lackierung war) 2023 noch rund 25 Stunden und war dabei sogar bei der Airpower in Zeltweg. Der Plan einer erweiterten 600-Stunden-Kontrolle war schnell gefasst. Bei der An-2 müssen alle 600 Stunden der Rumpf und die Flächen einer sehr intensiven Untersuchung unterzogen werden. Man entschloss sich in diesem Zug, auch gleich die in die Jahre gekommene Bespannung durch ein modernes und voll durch das LBA für die An-2 zugelassenes System zu ersetzen. Die Wahl fiel dabei auf das bewährte Oratex-System aus Deutschland. Überholt oder erneuert wurden nicht nur Zelle und Tragwerk, sondern auch sämtliche Schläuche und Leitungen. Das mächtige Triebwerk wurde bei PZL Kalisz, die den Schwezow Asch-62 gebaut haben und bis heute noch immer in kleinen Stückzahlen bauen, von Grund auf überholt. Der sogenannte Factory Rebuild umfasste den Austausch sämtlicher Komponenten, die nicht mehr der Norm und den Vorgaben entsprachen. Diese Möglichkeit der Überholung ist eine der besten Varianten, da bei einem solchen Wiederaufbau entscheidende Komponenten wie Gehäuse oder Kurbelwelle wiederverwendet werden und der Besitzer damit schon mal die Sicherheit hat, dass diese wichtigen Komponenten den Belastungen standhalten werden.

Philipp Prinzing

Originalzustand im Innenraum

Optisch macht die 12802 nun einiges her, denn nicht nur die Bespannung und Lackierung sorgen für einen erstklassigen Eindruck, sondern auch die vollständige neue Verglasung rundherum. Einige mechanische Baugruppen, zum Beispiel die Kühlklappen, wurden mit neuen Buchsen versehen und funktionieren nun wieder einwandfrei. Im Innenraum wurden nur minimale Arbeiten vorgenommen, denn wenn man die 12802 betritt, begibt man sich auf eine echte Zeitreise in die Dienstphase des Flugzeugs. Alle elektronischen Bauteile, zum Beispiel Funkgeräte, befinden sich noch an Ort und Stelle. Die Bestuhlung versprüht einwandfreien DDR-Charme und sogar die Metallseile, in die sich Fallschirmspringer einhaken könnten, sind noch vorhanden. Man wollte den Innenraum unbedingt in seiner Einsatzkonfiguration erhalten, da dieser einmalig und in einem exzellenten Zustand ist.

Philipp Prinzing

Pläne für die Zukunft

Für die Zukunft ist geplant, dass die Antonow "Colt" als Support-Flugzeug für alle Fälle agiert und die Maschinen der Sammlung (Luftraum Süd und Hangar 10) beispielsweise auf Airshows begleitet und Crews oder Ersatzteile zu den Locations in Europa transportiert. Wenn man mit den Piloten spricht, dann sind die Meinungen und Aussagen eindeutig und decken sich. Der Klang des Sternmotors ist mächtig, die Sicht aus dem Cockpit super, die Bedienbarkeit trotz einer Menge an Instrumenten sehr überschaubar. Die Kurzstart- und Landeeigenschaften suchen ihresgleichen.

Da die An-2 über keine angegebene Stall-Speed verfügt, gibt es ein spezielles Notverfahren, wenn man zum Beispiel in schlechtes Wetter gerät und die Sicht verliert: Man zieht das Höhenruder bis zum Anschlag und die Maschine kommt fast wie ein Fallschirm zurück auf die Erde. Es gibt kaum ein Flugzeug, welches so langsam geflogen werden kann und viel verzeiht, was sie statistisch zu einem der sichersten einmotorigen Flugzeuge der Welt macht. Beim Flug über Usedom wurde einmal mehr klar, welche Größe die Antonow hat. Über 18 Meter Spannweite, eine Länge von 12,74 Metern und eine Flügelfläche von über 71 m² lassen sie schwierig in der Luft in Szene setzen. Doch dieses Stück Luftfahrtgeschichte über der Insel mit ihren historischen Stätten zu sehen, beeindruckt nachhaltig. Ebenfalls beeindruckend ist, mit welcher Hingabe und Detailtreue hier gearbeitet wurde, um die 12802 auch nach 72 Jahren in der Luft für weitere Jahrzehnte fit zu machen. Man erkennt, dass es dem Team des Hangar 10 und des Luftraum Süd auch um den Erhalt des Know-hows rund um den Betrieb und die Technik der historischen Flugzeuge geht und diese Erfahrungen an spätere Generationen weitergegeben werden sollen.