In der Helikopter-Endmontagehalle von Turkish Aerospace Industries (TAI) vor den Toren Ankaras fristet der neue Kampfhubschrauber T929 Atak 2 noch ein Schattendasein. Hier dominieren die Produktionslinien des Vorgängers T129 Atak 1 und der türkischen Black Hawk-Lizenzversion T-70 das Bild. Zwei Exemplare beider Muster kann TAI im Monat fertigstellen – bei Bedarf lässt sich die Rate durch das Fahren einer zusätzlichen Schicht auf monatlich drei steigern. Die ersten T-70 gingen Anfang 2023 an die türkische Gendarmerie, vom Atak 1 wurden bereits rund 80 Stück gebaut – jüngst übernahm Nigeria als zweiter Exportkunde nach den Philippinen seinen ersten Atak 1. Sechs Stück haben die Afrikaner fest bestellt, eine Nachbestellung steht in Aussicht.
Zwei Flüge – und dann?
Von derlei Erfolgsmeldungen ist der Atak 2 noch ein gutes Stück entfernt. Der künftige Star der türkischen Drehflügler-Riege flog erstmals am 28. April dieses Jahres und danach noch ein weiteres Mal, wie mit dem Projekt betraute Ingenieure beim kürzlichen Werksbesuch der FLUG REVUE berichteten. Seither aber parkt der Atak 2-Prototyp in einem abgegrenzten Areal der Halle. Dass er viel wuchtiger ist als der kompakte Atak 1 sieht man sofort, obwohl ihm – wie schon beim Erstflug – noch immer ein Großteil der Rumpfverkleidung fehlt. Auch an Avionik, Antriebsstrang und Verkabelung wird weiter gearbeitet. "Wir sind noch mit dem Auswerten der Daten aus den ersten beiden Flügen beschäftigt", kommentiert ein Projektingenieur. "Auf Basis dessen nehmen wir ein paar Designänderungen vor, die dann auch in den zweiten Prototyp einfließen werden." Fliegen wird der Test-T929 erst 2024 wieder – dann laut Agenda aber regelmäßig.

TAI-Testpilot Arif Ates flog den T929 Atak 2 bei den bisherigen zwei Testflügen.
Großprojekt Atak 2
Ebenfalls im kommenden Jahr soll die zweite Testmaschine abheben, die der späteren Serienversion technisch und optisch schon recht nahe kommen dürfte. Zwischen 1.000 und 1.500 Mitarbeiter sind bei TAI mit dem Atak 2-Projekt betraut, allein das Designteam umfasst 500 Personen. Das unterstreicht den Stellenwert, den der T929 im Rüstungssektor der Türkei einnimmt. Fast alle Komponenten des neuen Hubschraubers, die Triebwerke ausgenommen, stammen von türkischen Herstellern und Zulieferbetrieben. So steuert Aselsan aus Ankara wie schon beim Vorgänger T129 die Avionik und Sensorik bei. Das Tandem-Glascockpit wartet mit großen Multifunktions-Touchscreens auf, der vierachsige Autopilot ist doppelt redundant ausgelegt.

Das Helmdisplay für die Atak 2-Piloten wird vom kleineren T129 Atak übernommen und optimiert.
Türkische Waffen und Systeme
Auch Systeme zur elektronischen Kriegsführung kommen von Aselsan. Das Kraftstoffsystem wird von einem weiteren lokalen Unternehmen produziert, Haupt- und Heckrotor, Transmission und Fahrwerk entstehen wie die Zelle selbst direkt bei TAI. Die Cockpitsektion ist gepanzert und soll gegen Beschuss mit Kaliber bis 12,7 Millimeter resistent sein. Für die Bewaffnung des Atak 2 zeichnet derweil hauptsächlich Roketsan verantwortlich, ebenfalls mit Sitz in Ankara. Neben gelenkten und ungelenkten Luft-Boden-Waffen sollen auch türkische Luft-Luft-Raketen zum Arsenal des T929 gehören. Die mitgeführten Waffen verteilen sich auf insgesamt sechs Aufhängepunkte an den Stummelflügeln. Unterm Bug findet eine schwenkbare 30-Millimeter-Bordkanone Platz. Die maximale Waffenlast beträgt etwa anderthalb Tonnen – ähnlich wie beim Klassenprimus AH-64 Apache aus den USA.
Kampfhubschrauber, maßgeschneidert
Am Apache – und den russischen Pendants Kamow Ka-52 und Mil Mi-28 – orientieren sich auch die restlichen technischen Daten der türkischen Neuentwicklung. So gibt TAI das maximale Startgewicht für den T929 mit 11,5 Tonnen an. Als Höchstgeschwindigkeit planen die Türken mit rund 320 km/h (172 Knoten), die Dienstgipfelhöhe des Atak 2 soll bei knapp 6.100 Metern (20.000 Fuß) liegen. Außerdem wird der neue Hubschrauber für Temperaturen von minus 40 bis plus 50 Grad Celsius ausgelegt sein. Geplant ist auch eine Marineversion für den Einsatz vom neuen Träger TCG Anadolu. Primär geht es aber zunächst um "die Bedürfnisse der türkischen Armee", auf die der Atak 2 speziell zugeschnitten sei, wie eine TAI-Pressesprecherin beim Werksbesuch betonte.

Der T929 Atak 2 soll sich zahlreiche Komponenten mit dem geplanten Transporthubschrauber T925 teilen. Hier im Bild ein Mock-up des T925, ausgestellt im Juni 2023 auf der Paris Airshow.
Atak 2 und seine Brüder
Dem trägt auch die Kompatibilität des T929 mit anderen (künftigen) Hubschraubermustern für die türkischen Streitkräfte Rechnung. So soll sich der Atak 2 zahlreiche Bauteile, Avioniksysteme, Sensoren sowie das Antriebssystem mit dem künftigen Transporthubschrauber T925 teilen, um den Wartungsaufwand für die Helikopterflotte möglichst kleinzuhalten. Der T925 soll ebenfalls rund elf Tonnen Abfluggewicht besitzen und Platz für 20 Personen oder militärische Ausrüstung bieten, die über eine Heckrampe verladen werden kann. Der Jungfernflug steht für 2024 im Kalender. Die Avionik der beiden neuen Einsatzmuster ist wiederum adaptiert vom Mehrzweckhubschrauber T625 Gökbey – dem ersten türkischen Drehflügler mit türkischen Triebwerken.

Der Atak 2 fliegt mit ukrainischen Triebwerken, hergestellt von Motor Sitsch. Irgendwann sollen diese durch türkische Pendants ersetzt werden.
Problemfall Triebwerke?
Türkische Triebwerke fehlen dem T929 Atak 2 noch. Stattdessen setzt TAI beim neuen Kampfhubschrauber auf Motoren aus der Ukraine – was angesichts der aktuellen Lage dort problematisch werden könnte. Denn Hersteller Motor Sitsch aus Saporoschje in der Ost-Ukraine kann kriegsbedingt nicht im vereinbarten Tempo liefern. Von vorerst 14 bestellten Einheiten des Turbowellentriebwerks TW3-117WMA-SBM1W-01T kamen bislang nur vier in der Türkei an – das erste Paar im Januar 2023, vier Monate später als eigentlich vorhergesehen. Weitere Exemplare sind offenbar im Zulauf, aber es ist unklar, wann sie verfügbar sind. Eine bereits im Februar 2022 angedachte Produktion des 2.500 PS starken Motor Sitsch-Triebwerks in der Türkei kam bislang nicht zustande.
Perspektivisch plant TAI, auch den Atak 2 mit genuin türkischen Turbinen auszustatten. Bis zur Auslieferung der ersten Serienexemplare an die türkische Armee wird das aber wohl nicht geschehen. Die ersten drei T929 sollen bereits 2025 übergeben werden.