Es ist ein wahr gewordener Piloten-Alptraum, den die Crew einer Antonow An-124 der russischen Fracht-Airline Volga-Dnepr am Freitag, dem 13. November vor knapp zwei Jahren erlebte. Mit einem lauten Knall samt Trümmeraustritt verabschiedet sich kurz nach dem Start des Riesenfrachters in nur 300 Metern über Grund das Triebwerk Nummer 2. Die Explosion lässt Triebwerksteile wie Geschosse durch die Luft fliegen. Sie durchbohren Rumpf und Flügelwurzel, trennen Kabelstränge und Hydraulikschläuche einfach durch. Der Kontakt zum Tower bricht ab, am Funk herrscht Totenstille. Stromausfall. Was noch vor Minuten wie der Beginn eines ganz normalen Arbeitstages aussah, wird für die Besatzung zur ultimativen Bewährungsprobe.
Eine Meisterleistung
Doch die Piloten schaffen es, das schwer angeschlagene Flugzeug zum Startflughafen Nowosibirsk zurück zu steuern und zu landen. Die Bahn des Airports Tomaltschowo reicht dafür allerdings nicht aus: Ohne Schubumkehr, Stromversorgung und Funkkontakt, mit 84 Tonnen Fracht und vollen Tanks, rutscht die riesige Antonow über die Runway, pflügt dann weiter durch den Schnee – und bleibt schließlich rund 300 Meter hinter der Pistenschwelle liegen.

Crew wohlauf, Flugzeug nicht
Die beste Nachricht dieses turbulenten Tages: Alle 14 Insassen entkamen dem Wrack unversehrt. Das Landemanöver war eine fliegerische Glanzleistung, die Piloten der RA-82042 erlangten in Russland Heldenstatus. Das Flugzeug selbst aber lag zunächst tagelang an Ort und Stelle, wurde irgendwann von Bergepanzern abtransportiert und wartete danach eine gefühlte Ewigkeit auf dem Vorfeld von Tomaltschowo auf sein weiteres Schicksal. Man werde in aller Ruhe eine Entscheidung treffen, ob es sich lohne, die seltene Antonow zu reparieren, teilte Volga-Dnepr immer wieder mit. Technisch sei dies grundsätzlich möglich, unterstrich man, allerdings sehr aufwendig und teuer. Daher verschob die Airline den Tag der Entscheidung offiziell immer wieder nach hinten.
Zerlegung hat begonnen
Nach außen hin hat sich Volga-Dnepr bis heute nicht zum Verbleib der Maschine geäußert. Man hat seit dem 24. Februar, dem Tag, an dem Russland in der Ukraine einmarschierte, schließlich andere Probleme. Hinter den Kulissen aber wurde das Schicksal der RA-82042 offensichtlich geklärt. Und es ist – wenig überraschend – kein glückliches Ende, das auf die schneeweiße Riesin wartet. Bilder aus russischen Medien und sozialen Netzwerken zeigen, dass man in Nowosibirsk spätestens Anfang September damit begonnen hat, das Flugzeug in seine Einzelteile zu zerlegen. Ein russischer Telegram-Kanal berichtet gar, die Zerlegungsarbeiten hätten bereits im Juli begonnen. So oder so, die Situation ist klar: RA-82042 verschrottet.
Ersatz im Anflug
Doch, wie heißt es so schön? Niemals geht man so ganz... Und so scheint es auch bei der Unfall-Antonow von Nowosibirsk zu sein. Besagter Telegram-Kanal schreibt nämlich weiter: "Es wurde beschlossen, separate Antriebselemente der Flugzeugstruktur beizubehalten (...). Sie können für Forschungsarbeiten verwendet werden (...), um Daten über die An-124-100/150-Flotte zu sammeln."
Volga-Dnepr indessen dürfte in absehbarer Zeit einen adäquaten Ersatz für die verloren gegangene An-124 erhalten: Die russische Regierung hat angeordnet, eine seit zehn Jahren in Uljanowsk eingemottete Schwestermaschine zu reaktivieren. Bei diesem Flugzeug, Kennzeichen RA-82080, handelt es sich um das letzte jemals ausgelieferte Exemplar des Riesenfrachters. Dieses Flugzeug hat laut der Datenbank russianplanes.net gerade einmal 8.000 Flugstunden auf der Zelle. Die 32 Jahre alte RA-82042, seit 1991 ununterbrochen bei Volga-Dnepr im Einsatz, dürfte es auf ein Vielfaches dieser Stundenzahl bringen.