Nach wie vor setzen Russlands Airlines im Langstreckenverkehr ausschließlich auf Großraum-Passagierjets von Airbus und Boeing. Und das trotz der anhaltend harten Sanktionen, die seit Ende Februar 2022 gelten und Russland vom Hersteller-Service sowie vom Ersatzteilmarkt abschneiden – zumindest offiziell. Auch in den kommenden Jahren wird sich daran nichts ändern: Mit der Iljuschin Il-96 – speziell der "neuen" vergrößerten Version Il-96-400M, die Ende 2023 abhob – gäbe es zu den West-Jets zwar eine mögliche Alternative "made in Russia". Aber die Il-96 will selbst in Russland keine Passagier-Fluglinie haben, weder in der alten noch in der "neuen" Ausführung.
Der Grund für die Verweigerung ist simpel: Mit seinen vier Triebwerken ist Russlands größtes Passagierflugzeug schlichtweg nicht zukunftsfähig. Wenig überraschend, dass für die verbesserte Il-96-400M nie eine einzige Bestellung einging. Und auch die Standardversion Il-96-300 wird lediglich im Staatsdienst von der russischen Flugbereitschaft eingesetzt. In losen Abständen tröpfeln zu diesem Zweck sogar manchmal neue Maschinen aus der Endmontagehalle in Woronesch. Ob das örtliche Flugzeugwerk überhaupt zu höheren Stückzahlen imstande wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Immer wieder Il-96
Trotzdem geistert die "untote" Il-96 in den Zukunftsplänen für Russlands Zivilluftfahrt immer wieder umher. Schließlich soll es mittel- bis langfristig auch im Widebody-Sektor ein echt russisches Produkt geben – das technisch und wirtschaftlich aber zumindest ansatzweise mit den westlichen Großraum-Zweistrahlern auf Augenhöhe sein muss. Da der einst als chinesisch-russische Gemeinschaftsproduktion gedachte Großraumjet CRAIC CR929 inzwischen nur noch von China verantwortet wird und die Chinesen weiter auf westliche Zulieferer setzen, müssen auch die Russen ihr Vorhaben im Alleingang verfolgen. Und der wohl einfachste Weg zum Ziel führt für einige Vertreter aus Politik und Industrie über eine grundlegend modernisierte, zweistrahlige Ausführung der Il-96.
Russlands Industrie- und Handelsminister Anton Alichanow ist beispielsweise ein bekennender Fan einer solchen "Il-96neo". Im Sommer 2024 sagte er, Russland brauche dringend ein eigenes Langstreckenflugzeug und "zweifellos" sei die Il-96 "unter Berücksichtigung der erforderlichen Modifikationen das Flugzeug, auf das wir uns verlassen sollten." Bereits drei Jahre zuvor, im September 2021, gab der damalige Vize-Premierminister Juri Borissow zu Protokoll, der Umbau der Il-96 zum Zweistrahler könne dem glücklosen Flugzeug "neues Leben einhauchen." Allerdings brauche es dazu – neben einem passenden Triebwerk – auch einen neuen Flügel, vorzugsweise aus Kohlefaser.

Die CRAIC CR929 wird jetzt von China allein entwickelt - und als Comac C929 vermarktet. China will nicht auf West-Komponenten verzichten.
Großtriebwerk als Schlüssel
Ob an Letzterem derzeit geforscht wird, ist nicht bekannt. Das neue Großtriebwerk PD-35, das eigentlich für die CR929 geplant war und auch eine "Il-96neo" antreiben könnte, befindet sich derweil in Russland weiter in Entwicklung. Es soll – Nomen est omen – bis zu 35 Tonnen Schubkraft und einen Fan-Durchmesser von über drei Metern besitzen. Prüfstandstests einzelner Komponenten sind im Gange. Allerdings hat die Arbeit an den Schmalrumpf-Antrieben PD-8 und PD-14 für Superjet und MS-21 bis auf Weiteres Vorrang. Aller Voraussicht nach wird das PD-35 nicht vor 2030 verfügbar sein.
Das PD-35 und seine angedachten Ableger sind zweifellos der wichtigste Schlüssel der Russen auf dem Weg zu einem eigenen, zeitgemäßen Langstreckenjet. Was den zu erwartenden Zeithorizont betrifft, wäre ein Upgrade der Il-96 zum Zweistrahler – sofern technisch umsetzbar – sicher eher zielführend als der Entwurf eines komplett neuen Flugzeugs, das in Russland garantiert nicht bis 2030 fertig würde. Dennoch bliebe auch für eine zweistrahlige Il-96 das Nadelöhr der beschränkten Entwicklungs- und Produktionskapazitäten, denn Russlands Luftfahrtindustrie ist mit anderen Projekten voll ausgelastet.

Die Iljuschin Il-96-400M bei ihrem Jungfernflug am 1. November 2023. Keine Airline will den Vierstrahler haben.
Ein frommer Wunsch?
Seitens der Airlines könnte das Projekt eines einheimischen Widebody-Jets in jedem Fall mit Unterstützung rechnen: "Wir würden die Entwicklung eines neuen russischen Langstreckenflugzeugs sicherlich begrüßen", so exemplarisch der Chef des Flag Carriers Aeroflot, Sergej Alexandrowski, der sogleich die Rahmenkriterien definiert: "Wir erwarten ein sparsames, effizientes und sicheres Flugzeug mit zwei Triebwerken." Bis wann er damit rechnen kann, weiß der Aeroflot-Chef aber wohl selber nicht.