Getriebefan-Probleme
Hunderte A320neo müssen bis 2026 am Boden bleiben

Die jüngsten Probleme mit den PW1100G-JM-Triebwerken weiten sich aus – und kommen Pratt & Whitney und MTU Aero Engines teuer zu stehen.

Hunderte A320neo müssen bis 2026 am Boden bleiben
Foto: Lufthansa

Der US-Triebwerkshersteller Pratt & Whitney hat einen Flottenmanagement-Plan für die vorzeitigen Inspektionen von Getriebefans (GTF) entwickelt und vorgestellt. Demnach müssen zwischen 2023 und 2026 rund 600 bis 700 mehr Triebwerke für Shop Visits vom Flügel abmontiert werden, als Anfang des Jahres geplant. Das führe zu durchschnittlich 350 gegroundeten Flugzeugen im Zeitraum 2024 bis 2026. Der Höhepunkt gegroundeter A320neo – 600 bis 650 Flugzeuge – wird für die erste Hälfte des Jahres 2024 erwartet. Rund zwei Drittel der Triebwerke sollen noch dieses Jahr und Anfang 2024 in die Werkstätten kommen, so der US-Triebwerkshersteller am Montag.

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Ursache für die vorgezogenen Inspektionen sind Anomalien in einem Metallpulver, aus dem die Scheiben der ersten und zweiten Stufe der Hochdruckturbine gefertigt sind. Dadurch könnten Risse entstehen. Pratt & Whitney hatte das Problem Ende Juli öffentlich gemacht. Am 4. August hatte der Triebwerkshersteller eine Sonderanweisung (Special Instruction, SI) an die Betreiber von Airbus A320neo mit GTF herausgegeben und sie über die Notwendigkeit beschleunigter Inspektionen und Entfernung der Triebwerke vom Flügel informiert. Diese anfängliche GTF-Tranche von 201 Triebwerken soll bis zum 15. September zur Inspektion.

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Innerhalb der nächsten 60 Tage sollen ein oder mehrere Service Bulletins (SB) veröffentlicht werden, um weitere Triebwerke abzudecken. Die mangelhaften Hochdruckturbinenscheiben wurden zwischen Ende 2015 und dem dritten Quartal 2021 hergestellt und sind in rund 1200 PW1100G-JM im Einsatz. Die Hochdruckturbinenscheiben werden bei den Shop Visits per Ultraschall untersucht und je nach Ergebnis wieder eingebaut oder ausgetauscht.

3000 Triebwerke müssen zur Inspektion

Allerdings sollen nicht nur diese 1200 Triebwerke untersucht werden, wie es Ende Juli hieß, sondern rund 3000 PW1100G-JM (seit Ende 2015 wurden rund 3200 Triebwerke ausgeliefert). Denn das Inspektionsprogramm wurde ausgeweitet auf Verdichterscheiben, die ebenfalls aus dem ME16-Metallpulver hergestellt wurden. Es handelt sich um die Scheiben der siebten und achten Stufe des Hochdruckverdichters. Pratt & Whitney hat festgelegt, dass diese 3000 Triebwerke nach rund 2800 bis 3800 Zyklen [ein Zyklus umfasst einen kompletten Flug inklusive Start und Landung; d. Red.] zur Inspektion müssen, zudem wurde die Bauteillebensdauer der Scheiben in der Hochdruckturbine und im Hochdruckverdichter auf etwa 5000 bis 7000 Zyklen, je nach Schubklasse, limitiert.

"Das Pratt-Team hat das Inspektionsprotokoll weiter analysiert und schließlich festgelegt, dass eine wiederholte Inspektion in Verbindung mit einer Begrenzung der Bauteillebensdauer bestimmter Hochdruckturbinen- und Verdichterscheiben nötig ist, um zu gewährleisten, dass wir mehr Möglichkeiten haben, um auch nach der anfänglichen Inspektion Risse festzustellen", sagte Chris Calio, President und Chief Operating Officer von RTX, Mutterkonzern von Pratt & Whitney. "Das bedeutet: Selbst wenn ein Triebwerk zuvor eine 'Angle Scan'-Inspektion [eine bestimmte Art der Ultraschalluntersuchung; d. Red.] hatte, wollen wir es nochmals in diesem Bereich von 2800 bis 3800 Zyklen anschauen. Das betrifft beinahe alle der 3000 PW1100G-JM-Triebwerke."

Die Arbeiten sind aufwendig und kommen zu einer Zeit, in der die Umlaufzeiten in den Werkstätten aufgrund mangelnder Ersatzteile und fehlendem Personal sowieso schon lang sind. Für das jüngste Inspektionsprogramm prognostiziert Pratt & Whitney 250 bis 300 Tage pro Triebwerk.

RTX (früher Raytheon Technologies) rechnet mit einer finanziellen Belastung zwischen 3 und 3,5 Milliarden US-Dollar in den nächsten Jahren. Auch der deutsche Triebwerkshersteller MTU Aero Engines, der mit 18 Prozent am PW1100G-JM-Programm beteiligt ist, geht von hohen Kosten aus. Allein im laufenden Geschäftsjahr könnte das ausgeweitete GTF-Inspektionsprogramm Umsatz und berichteten EBIT um eine Milliarde Euro reduzieren. "Die damit einhergehende Liquiditätswirkung würde insbesondere in den Folgejahren 2024 bis 2026 zu erwarten sein", so MTU in einer Ad-hoc-Mitteilung am Montag. Eine genaue Einschätzung der Auswirkungen auf die Prognose der MTU für das laufende Geschäftsjahr sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich.

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Erscheinungsdatum 05.09.2023