Schub-Giganten: Die großen Turbofans für Widebodies

Marktübersicht
Riesen-Fans: Die Großtriebwerke der Widebodies

Veröffentlicht am 24.08.2024

Gute Nachrichten für die Hersteller von Großtriebwerken: Nach bitteren Corona-Jahren erreichen Widebodies Mitte 2024 wieder das Flugstunden-Niveau von 2019. Und viele Airlines gieren nach einer Erneuerung ihrer Großraumjet-Flotte. Die Auswahl hat sich allerdings seit 2019 verkleinert. Die großen Vierstrahler – Boeing 747-8 und Airbus A380 – werden nicht mehr produziert. Die Neuauflage der Triple Seven, die Boeing 777-9, hat wegen technischer Probleme mehrere Jahre Verspätung und kann wahrscheinlich frühestens 2026 beim Erstkunden Lufthansa in Dienst gehen. Derweil verlässt die bisherige 777-Generation nur noch als Frachter die Endmontage. Den Airbus A330 gibt es (abgesehen von der militärischen A330 MRTT) nicht mehr in den ceo-Varianten mit den älteren Triebwerken CF6-80E1, Trent 700 und PW4000-100.

Rolls-Royce

Übersicht der großen Anbieter

Pratt & Whitney ist an neugebauten Widebodies gar nicht mehr vertreten und konzentriert sich im zivilen Geschäft stattdessen auf den Getriebefan für die A320neo-Familie, die A220 und die Embraer-E2-Jets. Damit hat sich das Duopol aus GE Aerospace und Rolls-Royce im Bereich der Großtriebwerke weiter zementiert. GE Aerospace hat nach Schätzungen von Analysten einen Marktanteil von mehr als 55 Prozent an den aktuell produzierten Widebodies. Hilfreich ist für beide Hersteller, dass sie einen hohen Anteil an Sole-Source-Triebwerken bereitstellen, also jeweils der einzige Supplier für ein bestimmtes Flugzeugmuster sind. GE Aerospace ist dabei der Boeing-Hoflieferant und sorgt für Schub an der Boeing 767-300F, die wegen verschärfter Abgasvorschriften nur noch fünf Jahre gebaut werden darf, der 777F und der 777X, die noch nicht zugelassen ist. Rolls-Royce-Triebwerke finden sich an den Airbus-Langstreckenjets A330neo und A350. Einzig für den Dreamliner von Boeing gibt es mit dem GEnx-1B und dem Trent 1000 Triebwerksoptionen beider Hersteller. Doch zurücklehnen können sich GE Aerospace und Rolls-Royce nicht, auch wenn kein neuer Großraumjet am Horizont sichtbar ist.

GE Aerospace

Produktion angelaufen

Der einstige US-Industrieriese General Electric hat im April seine mehrjährige Transformation abgeschlossen und das Energiegeschäft GE Vernova abgespalten. Übrig bleibt GE Aerospace (bis 2022 GE Aviation) als eigenständiges Unternehmen. Das jüngste Großtriebwerk im Portfolio der Amerikaner ist das GE9X. Im Juni hat GE Aerospace die ersten Triebwerke im Serienstandard an Boeing ausgeliefert. Die Verzögerungen der 777X liegen zum Teil auch an technischen Malaisen des GE9X. Das 2017 entdeckte Problem an den Hebelarmen, die die verstellbaren Leitschaufeln des Hochdruckverdichters bewegen, hatte zwar noch keine Auswirkungen auf die Zulassungspläne der 777X. Doch der im Juni 2019 bekanntgegebene vorzeitige Verschleiß der Leitschaufeln in der zweiten Stufe des Hochdruckverdichters führte dazu, dass Boeing den Erstflug der 777-9 auf Anfang 2020 verschieben musste. Der mit einem Bläserdurchmesser von 3,4 Metern größte Turbofan der Welt erhielt im September 2020 die Zulassung der US-Luftfahrtbehörde FAA. Im Oktober 2022 kam es bei einem Testflug zu einem Triebwerksfehler, der die Flugerprobung der 777-9 zeitweise stoppte. Ursache war ein Problem mit der Brennkammerauskleidung, die daraufhin für die GE9X-Serientriebwerke verbessert wurde.

GE Aviation

GE Aerospace hat die Nase vorn

Erfreulich läuft das Geschäft mit dem GEnx-1B, das die Boeing 787 antreibt. Hier hat GE Aerospace mit rund zwei Dritteln Marktanteil klar die Nase gegenüber Rolls-Royce vorn – und das, obwohl das Trent 1000 das erste verfügbare Triebwerk des Dreamliner war und auch das GEnX-1B anfangs an Kinderkrankheiten litt. Bei den Bestellungen in den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis noch stärker zugunsten von GE verschoben: Zwischen 2018 und 2023 wurden 688 Boeing 787 mit GEnx geordert, nur 71 mit Trent 1000. Der Grund dafür sind anhaltende Probleme mit der Lebensdauer der Turbinenschaufeln des Trent 1000, die 2016 erstmals auftraten und im folgenden Jahr fast alle 500 Triebwerke betrafen, die damals an 787 in Dienst standen. Rolls-Royce hat zwar seitdem mehrere Verbesserungen eingeführt, allerdings sind viele Airlines nach wie vor unzufrieden mit der "Time on Wing" – der Zeit zwischen zwei größeren Instandhaltungsereignissen. Die verbesserte Trent-1000-Variante namens Trent 1000 TEN (Thrust Efficiency and New Technology) mit mehr Schub und geringerem Treibstoffverbrauch flog Ende 2016 erstmals an einer Boeing 787. Im Trent 1000 TEN fanden Technologien des Trent XWB sowie aus dem Advance3-Programm Eingang, darunter ein neues Verdichtersystem und ein neues Turbinendesign. Allerdings sorgten auch hier vorzeitig abgenutzte Schaufeln in der Hochdruckturbine für Ärger. Ein Upgrade wurde nach langer Verspätung Ende 2023 an einem Dreamliner im Flug erprobt und ist nun als Standard für neu gebaute 787 verfügbar. Das Upgrade umfasst überarbeitete Turbinenschaufeln mit verbesserter Kühlung und ermöglicht ein längeres Schaufelleben, indem die Temperaturen im Dauerbetrieb gesenkt werden. Dasselbe Upgrade ist seit 2022 für das Trent 7000 der A330neo verfügbar.

Rolls-Royce

Längere Lebensdauer

Die Probleme mit dem Trent 1000 haben Rolls-Royce mehrere Milliarden Pfund und einiges an Reputation gekostet. Als Tufan Erginbilgic Anfang 2023 die Führung übernahm, beschrieb er den britischen Triebwerkshersteller als "brennende Plattform", die im Vergleich zu ihren Konkurrenten stark unterdurchschnittlich abschneide. Ein Jahr später hat sich der operative Gewinn mehr als verdoppelt – dank Stellen- abbaus, Preiserhöhungen bei Triebwerken und Instandhaltungsdienstleistungen sowie weiterer Restrukturierungsmaßnahmen. Nicht zuletzt hat die anziehende Nachfrage nach internationalen Flügen das Ergebnis beflügelt. Rolls-Royce hat im Februar angekündigt, in den kommenden Jahren rund eine Milliarde Pfund (1,18 Mrd. Euro) in Verbesserungen für die aktuellen Trent-Triebwerke zu investieren. Dafür sollen unter anderem Technologien aus dem UltraFan- und Advance3-Programm genutzt werden, zum Beispiel neue Materialien, Beschichtungen, Fertigungsverfahren und Kühltechnologien für die Hochdruckturbine sowie Dichtungen und Lager für die "Hot Section" (Brennkammer, Turbine, Abgasdüse). Mit einem Upgrade-Paket will Rolls-Royce von 2026 an die "Time on Wing" des Trent 7000 und des Trent 1000 um weitere 30 Prozent verlängern. Bereits 2025 sollen aerodynamische Optimierungen an neugebauten Trent XWB-84 eingeführt werden und den Treibstoffverbrauch um ein Prozent verringern. Auch für die stärkere Variante Trent XWB-97 arbeitet Rolls-Royce an Verbesserungen, die vor allem in extremen Betriebsumgebungen wie dem Mittleren Osten die Lebensdauer von 2028 an verdoppeln sollen. Für triebwerksfreundlichere Regionen erwartet Rolls-Royce eine um 50 Prozent längere "Time on Wing". Gute Nachrichten für die Betreiber von Großraumjets.