Zynisch formuliert, sind reale Kriegsschauplätze stets ein ideales Testfeld für neue Waffensysteme. Nirgendwo können Rüstungshersteller bessere Erkenntnisse sammeln als auf dem echten Schlachtfeld – so bitter es klingt. Der Krieg in der Ukraine macht dabei keine Ausnahme, und das gilt für beide Seiten. Russische Offizielle haben nun bestätigt, dass die russische Luftwaffe im Zuge dessen auch ein Kampfflugzeug erprobt, dessen weiteres Schicksal seit Jahren in der Schwebe hängt: die Mikojan MiG-35.

Die MiG-35 existiert als Ein- und Zweisitzer. Hier die zweisitzige Ausführung MiG-35UB im Juli 2019 in Schukowski.
Erst sechs Vorserien-Jets
Die MiG-35 soll eigentlich in die Fußstapfen der altgedienten MiG-29 treten – und das, wenn möglich, international. Der Jungfernflug des ersten Prototyps erfolgte bereits im November 2016, doch noch immer hat Russland keine Entscheidung über einen Serienbau getroffen. Präsident Putin betonte zwar bei der offiziellen Vorstellung der MiG-35 die Exportchancen des Fighters, und auch die russische Luftwaffe zeigte sich interessiert. Von bis zu 170 Jets war die Rede. Mehr als sechs Vorserienmaschinen konnte die russische Flugzeugbau-Holding UAC bis dato trotzdem nicht an den Mann bringen.

Die Silhouette der MiG-35 offenbart gegenüber der MiG-29 nur kosmetische Änderungen - unterm Blech sieht das ganz anders aus.
Feuerprobe Ukraine-Krieg
Ob sich das jemals ändern wird, hängt laut dem verantwortlichen UAC-Konstrukteur Sergei Korotkow auch davon ab, wie sich die MiG-35 beim Kampfeinsatz in der Ukraine bewährt. Gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti sagte Korotkow, die MiG-35 nehme vollumfänglich am Kriegsgeschehen teil. Ob die russische Luftwaffe das Muster im großen Stil beschafft, werde sich zeitnah herausstellen. "Wir müssen noch weitere Testflüge unternehmen, dann wird das Verteidigungsministerium eine endgültige Entscheidung treffen", so Korotkow. Parallel laufen laut dem UAC-Designer Verhandlungen mit möglichen Exportkunden, denen "die Eigenschaften der MiG-35 entgegenkommen."

Seit jeher haben die Russen mit der MiG-35 auch den Exportmarkt im Blick. Doch einen handfesten Verkaufserfolg gab es noch nicht.
Was ist neu an der MiG-35?
Die MiG-35 ähnelt äußerlich stark der in den 70er-Jahren entstandenen und in zahlreichen Versionen produzierten Vorgängerin MiG-29. Konkrete Basis ist die seit 2005 gebaute MiG-29M/M2. Auffälligster Unterschied zu älteren Versionen sind die fehlenden Zusatz-Lufteinlässe auf der Oberseite, die der MiG-29 den Start von unbefestigten Pisten ermöglichen. An deren Stelle sind jetzt zusätzliche Treibstofftanks verbaut. Zum Schutz vor angesaugten Fremdkörpern besitzen MiG-29M/M2 und MiG-35 ein neu gestaltetes Netz in den Lufteinlässen, die zudem vergrößert wurden. Insgesamt finden in den neuen MiGs 5.400 Kilogramm mehr Sprit Platz, die Einsitzer-Ausführung besitzt statt des hinteren Sitzes noch einen weiteren Tank, der 630 Liter fasst. Der verlängerte Rumpfrücken beherbergt eine große Luftbremse. Außerdem hat Mikojan für die MiG-35 den vergrößerten Flügel der Marineversion MiG-29K mit zwölf Metern Spannweite übernommen.

Die MiG-35 besitzt ein russisches AESA-Radar und Fly-by-Wire. Der Pilot blickt durch ein großes Head-up-Display.
Neue Avionik und AESA-Radar
Während diese optischen Änderungen allenfalls auf den zweiten Blick ins Auge fallen, fanden die wirklich umfangreichen Modifikationen im Inneren der Zelle statt. So besitzt die MiG-35 ein vierfach redundantes Fly-by-Wire-System, das die mechanische Flugsteuerung der MiG-29 ersetzt hat. Der Pilot blickt nach vorne durch ein auffallend großes, neu gestaltetes Head-up-Display, ein zeitgemäßes Glascockpit mit Multifunktionsbildschirmen ist obligatorisch, ein Helmvisier aus russischer Produktion soll dem Piloten die Arbeit im Kampfeinsatz zusätzlich erleichtern. In der Nase der MiG-35 arbeitet mit dem Fasotron-NIIR Schuk-A zudem ein modernes AESA-Radar, das 30 Ziele gleichzeitig verfolgen und sechs davon bekämpfen kann.
Stärkere Triebwerke
Als Triebwerk nutzt die MiG-35 eine verbesserte, leistungsgesteigerte Variante des bereits in der MiG-29 verbauten Klimow-Turbofans RD-33. Das als RD-33MK firmierende Derivat erreicht mit Nachbrenner 88,8 kN Schub – rund sieben kN mehr als die Vorgängerausführung. Ein umfangreiches Repertoire an Luft-Luft- und Luft-Boden-Waffen verteilt sich auf acht Aufhängepunkte unter den Flügeln, die maximale Waffenlast liegt bei 6,5 Tonnen. Dazu kommt eine integrierte 30-Millimeter-Bordkanone. Vor dem Cockpit arbeitet ein verbessertes opto-elektronisches Zielsuchsystem. Es soll Luftziele in Su-30-Größe auf bis zu 90 Kilometer Entfernung erkennen. Für den Selbstschutz sorgen der aus der Su-34 bekannte Radarwarnempfänger LL150 Pastel, Düppelwerfer und optionale Radarstörbehälter. Auch als Tankflugzeug kann die MiG-35 laut Hersteller herangezogen werden.