Die Prüfstände auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Lampoldshausen haben schon viele Elemente der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 gesehen. Auf P5 fanden die Entwicklungs- und Qualifikationstests des Hauptstufentriebwerks Vulcain 2.1 statt, auf P4 die des wiederzündbaren Oberstufentriebwerks Vinci.
Doch eine komplette Ariane-6-Oberstufe ist auch hier etwas Neues. Derzeit wird ein Upper Liquid Propulsion Module (ULPM) auf dem eigens von der europäischen Raumfahrtagentur ESA gebauten Prüfstand P5.2 auf Herz und Nieren getestet. Es ist das erste Mal seit 40 Jahren, dass solche Tests in Europa durchgeführt werden.





Im Oktober 2022 und Januar 2023 fanden die ersten Heißlauftests mit der Oberstufe statt. Zwei weitere sind noch geplant, der nächste im Juni. Dabei soll ein Flugprofil simuliert werden, das dem Erstflug der Ariane 6 möglichst nahekommt. Beim letzten Hot-Firing-Test, für den es noch keinen Termin gibt, sollen schließlich die sogenannten "degraded cases" durchgespielt werden, also Fälle, in denen nicht alles nach Plan läuft.
Mehr als drei Jahre Verzögerung
Ein Datum für den Erstflug der echten Ariane 6 steht hingegen immer noch nicht fest. Josef Aschbacher, Generaldirektor der ESA, hatte im vergangenen Herbst vom dritten Quartal 2023 gesprochen, frühestens. "Der Erstflug ist geplant für das Jahresende", bestätigte Guy Pilchen, Ariane-6-Programmmanager der ESA bei einem Medienevent in Lampoldshausen am 28. März. Ursprünglich sollte die Ariane 6 im Juli 2020 erstmals abheben.
"Es ist eine Mischung aus unterschiedlichen Themen, die dazu geführt haben, dass wir in Verzug sind", sagte Pierre Godart, CEO von ArianeGroup Deutschland, gegenüber der FLUG REVUE. Technische Schwierigkeiten, unter anderem mit der neuen Auxiliary Power Unit (APU) der Oberstufe und den Kryoarmen der Startrampe in Kourou, und nicht zuletzt die Corona-Pandemie haben das ganze Programm um mehr als drei Jahre verzögert. Zudem sei man zu Beginn des Programms zu optimistisch gewesen, was Komplexität und Zeitbedarf angeht. "Das ist nicht schön. Aber es ändert nichts daran, dass die Ariane 6 ein gutes Produkt ist."
Um den Erstflug Ende 2023 durchführen zu können, müssen aber immer noch mehrere kritische Meilensteine erfolgreich abgearbeitet werden. Dazu gehören die Oberstufentests in Lampoldshausen, und die parallel dazu laufenden kombinierten Tests mit einer voll integrierten Ariane 6 am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana. Sie dienen der Erprobung der Rakete im Zusammenspiel mit der Startanlage, Höhepunkt sind zwei Zündungen des Hauptstufentriebwerks Vulcain 2.1.
Weitere technische Probleme
Doch beide Testreihen haben bereits einige Wochen Verzögerung. Die beiden Vulcain-2.1-Zündungen in Kourou waren für Anfang Februar und Mitte bis Ende März geplant, bisher ist noch nichts dergleichen passiert. Und mittlerweile sprechen ArianeGroup und ESA offiziell nicht mehr von zwei bereits erfolgten Heißlauftests der Oberstufe, sondern nur noch von einem, jenem im Januar. Der erste Test im Oktober 2022 hatte aus Zeitgründen abgebrochen werden müssen, bevor die APU in Betrieb genommen werden konnte.
"Die Meilensteine sind bis Juni fällig", sagte Guy Pilchen der FLUG REVUE. Hinzu kommen noch zwei weitere Themen: Probleme mit der Opto-Pyrotechnologie sowie die Qualifikationsüberprüfung der Trägerrakete und der Startanlage. Opto-Pyrotechnologie wird nach Angaben von Pilchen an der Rakete verwendet, um pyrotechnische Geräte auszulösen. "Solche pyrotechnischen Geräte werden für die Stufentrennung genutzt, aber auch für die Neutralisierung der Stufe", erklärte Pilchen. Letzteres bedeutet eine kontrollierte Sprengung der Rakete im Fall eines Kontrollverlustes. Mit der neuen Technologie gebe es noch Schwierigkeiten, die aber bis April gelöst sein sollten. Die Qualifikationsüberprüfung des gesamten Ariane-6-Systems soll im Mai beginnen.
"Ende Juni sollten wir auf der Basis dieser konkreten Leistungen in der Lage sein, das Startdatum zu konsolidieren", so Pilchen. Dann fehlt aber immer noch ein letzter Heißlauftest in Lampoldshausen. "Wir werden analysieren, ob dieser Test obligatorisch für den Erstflug ist oder nicht." Es ist also immer noch eine gehörige Portion Unsicherheit rund um das Startdatum im Spiel.
Prüfstände für die Zukunft
Während die Mitarbeiter des DLR und von ArianeGroup den nächsten Test mit dem Hot-Firing-Modell in Lampoldshausen vorbereiten, laufen im Harthäuser Wald die Vorarbeiten für die Erprobung der nächsten Raketengeneration. Der Prüfstand P5, auf dem sich die Vulcain-Triebwerksfamilie bewähren musste, wird derzeit modifiziert für Prometheus, ein wiederverwendbares und günstiges Triebwerk, das mit flüssigem Methan und flüssigem Sauerstoff betrieben werden soll. Ende des Jahres soll der umgebaute P5 prüfbereit sein.
Auf P8 soll das BERTA-Triebwerk für die geplante ASTRIS-Kickstufe der Ariane 6 getestet werden. Die zusätzliche Stufe soll die Flexibilität der Trägerrakete weiter erhöhen. Entwickelt werden ASTRIS und das BERTA-Triebwerk, das lagerfähige Treibstoffe nutzt, von ArianeGroup Deutschland. Wann genau die erste Ariane 6 mit ASTRIS fliegen wird, ist noch unklar. Ursprünglich war von 2024 die Rede.
Und was passiert mit P5.2, wenn die Oberstufentests abgeschlossen sind? Dann wird dort der Prototyp einer möglichen Nachfolgerin, genannt PHOEBUS (Prototype for a Highly Optimized Black Upper Stage), ausgiebig erprobt. Die Nutzung von Kohlefaserverbundwerkstoffen anstelle von Metall, beispielsweise bei den Tanks, soll die künftige Oberstufe leichter machen, was die Nutzlastkapazität erhöht.
Bevor diese Verbesserungen Einzug halten, muss aber erst einmal die "normale" Ariane 6 erfolgreich zum Erstflug abheben.