Gleich im Januar, als Corona noch weit weg schien, fiel im Boeing-Werk Everett der Startschuss für den größten zweistrahligen Jet, den die Welt je gesehen hat: die Boeing 777-9. Der Riesen-Twin, zuletzt durch Probleme mit den eigens für das Flugzeug entwickelten GE9X-Turbofans ausgebremst, hätte eigentlich schon ein Jahr früher abheben sollen. Doch daraus war aus diversen Gründen nichts geworden. Als die 777-9 dann Ende Januar 2020 endlich so weit war, spielte auch noch das Wetter verrückt. Zweimal musste der Erstflug kurzfristig verschoben werden - bis er am 25. Januar um kurz vor 10 Uhr Ortszeit endlich glückte. Nach knapp vier Stunden landete der Prototyp Prototyp WH001 (Kennzeichen N779XW) sicher auf dem nahegelegenen Boeing Field.
Gulfstream G700
Drei Wochen später, am 14. Februar um 13:19 Uhr Ortszeit, nahm im Bundesstaat Georgia die Gulfstream G700 erstmals die Räder von der Piste des Flughafens Savannah/Hilton Head. Am Steuer des Jets mit dem passenden Kennzeichen N700GA saßen die Piloten Jake Howard und Eric Holmberg, unterstützt von Flugtestingenieur Bill Osborne. Zwei Stunden und 32 Minuten dauerte der Erstflug, bei dem Gulfstreams neues Flaggschiff die Erwartungen der Ingenieure plangemäß erfüllte. Mit dem Rolls-Royce Pearl 700 steckt auch ein Stück "Made in Germany" in dem Langstreckenjet, der bei der Kabinengröße die Konkurrenz aussticht.

Viking CL-415EAF
Auch in Kanada gab es 2020 eine Premiere: Am 10. März startete bei Cascade Aerospace in Abbotsford, British Columbia, die erste mit Turboprop-Triebwerken und neuen Systemen umgerüstete CL-215 zum Jungfernflug. Das stark verbesserte Löschflugzeug trägt die Bezeichnung Viking CL-415EAF ("Enhanced Aerial Firefighter"). Es verfügt über die neue digitale Avionik-Suite Collins Pro Line Fusion sowie Pratt & Whitney PW123AF-Propellerturbinen, eine erhöhte Wassertankkapazität und Verbesserungen an zahlreichen Flugzeugsystemen. Alle veralteten Komponenten, die sich auf die Verfügbarkeit der weltweiten Flotte der CL-215 und CL-415 Flugzeuge auswirken, werden in der CL-415EAF ersetzt.

Dornier Seawings Seastar
Ein weiteres Amphibium, allerdings kein Löschflugzeug, nahm gut zwei Wochen später im bayerischen Oberpfaffenhofen erstmals Luft unter die Flügel: Der Prototyp einer neuen Generation des Seastar, gebaut von Dornier Seawings, hob am 28. März zu seinem 31 Minuten währenden Erstflug ab. Der Seastar SN1003 hatte am 19. März 2020 die erforderlichen Zulassungen von EASA und LBA erhalten. Er ist ist gegenüber dem ursprünglichen Seastar, der von Claudius Dornier Jr. in den 1980er Jahren entworfen und entwickelt wurde, deutlich verbessert. So besitzt er ein volldigitales Glascockpit, neue Propeller, eine Klimaanlage sowie ein Heckstrahlruder. Mögliche Innenausstattungen umfassen Fracht-, VIP-, Passagier- und spezielle Missionskonfigurationen.
Cessna 408 SkyCourier
Ein echtes "Multitool" ist auch die neue Cessna 408 SkyCourier, die am Morgen des 17. Mai erstmals von Beech Field auf dem Gelände von Textron Aviation in Wichita abhob. Unter der Leitung des Senior-Testpiloten Corey Eckhart und des Cheftestpiloten Aaron Tobias flog die Utility-Twin zwei Stunden und 15 Minuten lang. Der Turboprop-Hochdecker, der sowohl für den Fracht- als auch für den Pendlerbetrieb konfiguriert werden kann, ist für eine Nutzlast von bis zu 2.700 Kilogramm ausgelegt und verfügt über eine große Frachttür sowie eine geräumige Kabine zur Aufnahme von drei Standard-LD3-Luftfrachtcontainern. In einer Passagierkonfiguration wird die SkyCourier Platz für bis zu 19 Fluggäste bieten.
AIDC AT-5 "Brave Eagle"
In Taiwan erklomm am 10. Juni derweil ein junger, "mutiger Adler" zum ersten Mal den Himmel: Die AIDC AT-5 "Brave Eagle", ein Jet-Trainer für die taiwanesische Luftwaffe, basiert auf dem Kampfjet AIDC Ching-Kuo und soll künftig dem militärischen Pilotennachwuchs des Landes als bevorzugtes Trainingsmittel dienen. Taiwan plant, mit der AT-5 die Vorgängerin AT-3 sowie die veralteten Northrop F-5 abzulösen. Bis 2026 will die Republic of Taiwan Air Force (ROKAF) insgesamt 66 der neuen Jettrainer in Dienst stellen.

Stratos 716X
Mit der Stratos 716X brachte das US-Luftfahrtunternehmen Stratos Aircraft am 10. Juli in Redmond (Oregon) sein neuestes Modell erstmals in die Luft. Der sechssitzige, einstrahlige Jet soll sowohl als Bausatz als auch später als zertifizierte Version auf den Markt kommen. Die 716X besitzt eine Vollkarbon-Flugzeugzelle und ist für eine Reisegeschwindigkeit von 400 Knoten (741 km/h) ausgelegt. Beim 22 Minuten währenden Erstflug wurde bei voller Leistung eine Höhe von 13.500 Fuß (4.114 Meter) erreicht.

ATR 72-600F
Bei ATR in Toulouse gab es zum Herbstanfang einen guten Grund zum Feiern: Zum ersten Mal hob dort am frühen Nachmittag des 16. September eine bereits ab Werk als Frachter ausgelegte ATR 72 vom Boden ab. Alle anderen ATRs, die aktuell Pakete durch die Luft fliegen, wurden erst nachträglich zu Frachtern umgebaut. Mit der ATR 72-600F möchte ATR seine führende Rolle unter den Regionalflugzeugherstellern auch im Cargo-Segment dauerhaft absichern. Beim Erstflug war die Maschine etwas mehr als zwei Stunden unterwegs, kletterte auf rund 7.600 Meter (25.000 Fuß) und erreichte eine Geschwindigkeit von knapp 600 km/h. Mitte Dezember wurde die ATR-72-600F bereits an Paketriese FedEx übergeben – als erstes von 50 fest bestellten Exemplaren.
Irkut MS-21-310
In Russland wird ebenfalls fleißig an der aviatischen Zukunft gewerkelt. Zwar sind sämtliche aktuell verfolgten Programme deutlich hinter dem anvisierten Zeitplan – das heißt aber nicht, dass es nicht vorwärts geht. So feierte am 15. Dezember der fünfte und letzte Prototyp des Narrowbody-Airliners Irkut MS-21-300 seinen Jungfernflug. Das ist insofern besonders, weil dieser Prototyp zugleich die erste MS-21 ist, die nicht mit amerikanischen, sondern mit russischen Triebwerken fliegt. Zwei Awiadwigatel PD-14 treiben den Jet an, der deshalb auch die abweichende Bezeichnung MS-21-310 trägt. Das PD-14 ist seinerseits ein Meilenstein für Russlands Luftfahrt, verkörpert es doch das erste heimische Turbofan-Triebwerk, dessen Entwicklung erst nach dem Ende der UdSSR begann.
Iljuschin Il-114-300
Dieses Attribut steht dem Turboprop-Twin Iljuschin Il-114-300 eher nicht zu. Der basiert nämlich weitgehend auf der glücklosen Il-114-100, die im März 1990 erstmals flog – und in der Folgezeit von den Turbulenzen der Wendejahre zu Boden gedrückt wurde. Mit der Il-114-300 schickt sich nun eine gründlich modernisierte Nachfolgerin an, es besser zu machen. Die Chancen stehen tatsächlich gut, denn ein moderner Regional-Turboprop aus heimischer Produktion wird in Russland sehnlichst erwartet – gilt es doch, in den kommenden Jahren zahlreiche noch fliegende Sowjet-Fossilien zu ersetzen. Mit dem Erstflug der Il-114-300 am 16. Dezember in Schukowski sind die Weichen dafür gestellt. Nun muss das Flugzeug in der Erprobung zeigen, was es kann.