Der Traum vom zivilen Überschallflug lebt weiter. Zumindest im US-Bundesstaat Colorado. Dort hat das Unternehmen Boom Supersonic seinen Sitz – und arbeitet knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Concorde an einem Nachfolger des legendären Deltaflüglers. Das Startup um Gründer und Chef Blake Scholl wird seit Jahren nicht müde, Traum und Vision eines Überschall-Revivals international am Köcheln zu halten. Auf internationalen Luftfahrtmessen lädt Boom daher gerne zu bildstarken Pressekonferenzen. So auch in diesem Jahr auf der Farnborough Airshow.
Die neue "Overture"
Dort zeigte Boom einmal mehr seinen geplanten Überschalljet "Overture" im animierten Video – doch nun präsentiert sich das Flugzeug plötzlich komplett verwandelt. Aus dem dreistrahligen Delta-Design, das stark an eine geschrumpfte Concorde erinnerte, ist ein Vierstrahler geworden – mit separatem Höhenleitwerk und starken Anleihen an den einstigen Boeing-Entwurf 2707, der als Concorde-Konkurrent geplant war, aber nie über den Status eines Mock-ups hinauskam.
"Revolutionäres" Design
Dieses Schicksal wünschen sich Blake Scholl und seine Mitarbeiter für ihr Projekt natürlich nicht. Auch deshalb, weil sie bereits ordentlich Zeit, Geld und Energie in die "Overture" gesteckt haben. Das neue Design sei "das Ergebnis von 26 Millionen Kernstunden simulierter Software-Entwürfe, fünf Windkanaltests und der sorgfältigen Auswertung von 51 vollständigen Entwurfsiterationen", erklärt Boom in einer Pressemitteilung. Mit der jetzt präsentierten Konfiguration kombiniere man eine ganze Reihe technischer Neuerungen "in den Bereichen Aerodynamik, Geräuschreduzierung und Gesamtleistung." CEO Scholl bezeichnete den Entwurf in Farnborough als "revolutionär". Der neue Jet werde "unsere Einstellung zum Thema Entfernung grundlegend verändern."

Überschall nur überm Meer
Geschwungene "Möwenflügel" aus Kohlefaser sollen dem Flugzeug optimale Flugeigenschaften und erhöhte Stabilität in allen Geschwindigkeitsbereichen bescheren. Der neu gestaltete Rumpf reduziere den Luftwiderstand und mache die "Overture" im Überschallflug effizienter, erläutert Boom. Die vier unterm Flügel angebrachten Triebwerke sollen mit 100 Prozent nachhaltigem Kraftstoff laufen und den CO2-Ausstoß auf diese Weise minimieren. Die Leistung der noch immer unbekannten Turbofans soll der "Overture" zu Geschwindigkeiten von "Mach 1,7 über Wasser und knapp unter Mach 1 über Land" verhelfen – was man zugleich als Eingeständnis werten kann, dass Boom das Überschallknall-Problem technisch nicht lösen kann oder will. Fliegt der Jet nur über dem offenen Meer schneller als der Schall, dürften sich allenfalls Bewohner entlegener Inselstaaten über den Lärm beschweren. Und deren Lobby ist bekanntermaßen überschaubar.

Zeitplan kaum zu schaffen
Boom plant den Airliner nach eigenen Angaben für 65 bis 80 Passagiere, nach dem Re-Design jedoch mit einer Länge von stattlichen 61 und einer Spannweite von knapp über 32 Metern. Die Reichweite mit voller Nutzlast soll 7.870 Kilometer betragen. Als Flugsteuerung wählt Boom ein vierfach redundantes, digitales Fly-by-Wire-System. Landeklappen sonstige Auftriebshilfen sollen ebenfalls digital bedient werden. Die Lärmemission an Flughäfen soll dem neuen ICAO-Standard Chapter 14 entsprechen.
Den Erstflug der "Overture" peilt Boom nach wie vor 2026 an, die Zulassung 2029. Ob das realistisch ist, darf bezweifelt werden. Bislang hat das Unternehmen noch nicht einmal den "Baby-Boom"-Testträger XB-1 in die Luft gebracht – obwohl dieser bereits 2020 Roll-out feierte und Anfang 2022 auf dem Regionalflughafen Centennial bei Rolltests gesehen wurde. Außerdem fehlt der "Overture" noch immer das passende Triebwerk – und eines von der Stange kommt vermutlich nicht infrage.